Steigendes Verpackungsaufkommen: Trends, Ursachen und Implikationen
24.11.2023 Insights Interview

Steigendes Verpackungsaufkommen: Trends, Ursachen und Implikationen

Im Interview mit FACHPACK360° spricht Sven Sängerlaub, Vorstandsvorsitzender des BDVI und Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München, über die Herausforderungen und Entwicklungen des Verpackungsaufkommens in Deutschland und der EU. Welche Implikationen ergeben sich aus den aktuellen Eurostat-Zahlen für die Zukunft der Verpackungsbranche?

Sven Sängerlaub, Vorstandsvorsitzender des BDVI und Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München Sven Sängerlaub, Vorstandsvorsitzender des BDVI und Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München

Wie bewerten Sie die aktuellen Statistiken von Eurostat bezüglich des Verpackungsaufkommens in der Europäischen Union?

Bei den Daten von Eurostat (siehe Grafiken unten) handelt es sich um Massenangaben. Wichtige Kenngrößen zur Materialeffizienz, zu Verpackungsgrößen, zur Recyclingfähigkeit einzelner Verpackungen und zu Substitutionseffekten sind daraus nicht ablesbar. Die Daten sollten daher nicht überinterpretiert werden. Auffällig ist der stetig steigende Verbrauch von Verpackungen auf Faserbasis. Diese werden häufig stofflich verwertet, wodurch sich ihre Umweltwirkung relativiert. Interessant sind die großen Unterschiede zwischen den Ländern und die Tatsache, dass in fast allen Ländern ein Anstieg zu verzeichnen ist.

Welche Hauptfaktoren tragen Ihrer Meinung nach zu dem beobachteten Anstieg des Verpackungsaufkommens bei?

Der Anstieg des Verbrauchs von Wellpappe- und Kartonverpackungen kann durch die Zunahme des Online-Handels erklärt werden. In den Jahren 2020 und 2021 hat die Corona-Pandemie den Online-Handel und damit den Verbrauch von Verpackungen aus Karton und Wellpappe intensiviert. Interessant ist der Sprung des Holzverbrauchs von 2020 auf 2021, der sicherlich mit dem erhöhten Verbrauch von Holzpaletten durch den verstärkten Handel begründet werden kann.

Glas als Verpackungsmaterial erlebt eine kleine Renaissance. Verpackungen aus Glas und Holz haben ein höheres Gewicht als Verpackungen aus Kunststoff. Diese schlagen sich daher etwas stärker in der Gesamtabfallmenge nieder. Auch der Verbrauch von Kunststoff hat zugenommen. Hier wirken die üblichen Trends wie Convenience, kleinere Packungsgrößen aufgrund kleinerer Haushalte und die Nachfrage nach hygienisch verpackten Produkten. Es könnte aber auch sein, dass gut recycelbare Verpackungen etwas schwerer sind. Bei einigen Verpackungen ist auch eine Substitution von Kunststoff durch faserbasierte Materialien zu beobachten.

Wie erklären Sie die signifikanten Unterschiede im Verpackungsaufkommen zwischen verschiedenen EU-Ländern, wie beispielsweise den Unterschied zwischen Kroatien und Irland oder Deutschland?

Irland und Deutschland liegen nicht weit auseinander. Für 2021 wird für Deutschland ein Verpackungsverbrauch von 237 und für Irland 246 kg je Person und Jahr ausgewiesen. Für Kroatien liegt der Wert bei 74! Die Daten von Eurostat lassen für mich hier eine gute Analyse nicht zu. Unklar ist für mich, ob die Datengrundlage überall gleich ist. Anzunehmen ist jedoch, dass ein geringeres Bruttoinlandsproduckt pro Person und eine größere durchschnittliche Haushaltsgröße in Kroatien mit weniger Verpackungsverbrauch korrelieren. Damit sind die Tendenzen plausibel.

Wie hat sich das Aufkommen verschiedener Verpackungsmaterialien in den letzten Jahren verändert?

Die großen Anstrengungen der Industrie, recycelbare Verpackungen anzubieten, haben zu einer Materialsubstitution geführt. Viele, aber nicht alle Verpackungen sind etwas schwerer geworden, dafür aber besser recycelbar.

Viel interessanter ist für mich, dass es trotz der vielen Diskussionen um „unverpackt“ und Mehrweg bisher keinen Einbruch beim Verpackungsverbrauch gegeben hat. Ob der Verbrauch weiter steigen wird, darf aufgrund der Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung (PPWR) bezweifelt werden. Hier zeigt der Gesetzgeber seinen Willen, die Märkte stärker als bisher zu regulieren und den Packmittelverbrauch zu reduzieren.

Welche Strategien oder Maßnahmen schlagen Sie vor, um das Verpackungsaufkommen in der EU zu reduzieren und eine nachhaltigere Verpackungsnutzung zu fördern?

Häufig wird eher auf die Menge der verbrauchten Verpackungen geachtet als auf die gesamten Umweltauswirkungen, einschließlich der verpackten Güter. Verpackungen führen zu einer höheren Effizienz in der Distribution, schützen vor Verderb und Beschädigung und informieren den Verbraucher, abgesehen von der höheren Lebensqualität, die durch Verpackungen erreicht wird. Ein höherer Verpackungsverbrauch ist dann sinnvoll, wenn das Gesamtsystem dadurch ressourceneffizienter wird. Bei näherer Betrachtung ist das Thema komplex und widersprüchlich.

Viele Ökobilanzierer empfehlen Einzelfallentscheidungen. Um konkreter zu werden. Kleinere Packungsgrößen sind oft ineffizienter im Verbrauch von Verpackungsmaterial, können aber Lebensmittelverluste reduzieren. Bei kalorienreichen Produkten sollten auch die Portionsgrößen reduziert werden. In diesen Fällen bringt eine zahlenmäßig weniger umweltfreundliche Verpackung dennoch Vorteile in der Gesamtumweltbilanz. In einigen Fällen sollten Mehrwegverpackungen stärker berücksichtigt werden. Unabhängig von diesen Diskussionen hat die EU mit dem Green Deal strategische Ziele zur Förderung der Kreislaufwirtschaft formuliert.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Verpackungsaufkommens in der EU in den kommenden Jahren?

Hier wirken verschiedene Effekte und es wird spannend sein, welche sich durchsetzen werden. Die Politik möchte den Einsatz von Mehrwegverpackungen stärken und mein Eindruck ist, dass der steigende Verpackungsverbrauch von vielen kritisch gesehen wird. Es ist fraglich, ob der Online-Handel weiter wachsen wird und auch die wirtschaftliche Unsicherheit bremst das Wachstum. Andererseits gibt es Faktoren, die für einen steigenden Verbrauch sprechen. Laut Eurostat verbrauchen einige Länder weniger Verpackungen als der europäische Durchschnitt. Hier gibt es sicherlich Nachholeffekte.

Mein subjektiver Eindruck ist, dass viele Bürger gerne bequem konsumieren. Mehrwegverpackungen und unverpackt-Konzepte haben zwar einen Markt, ich bezweifle aber, dass alle Konsumenten diese Konzepte annehmen werden. Mehrwegverpackungen führen zu erhöhtem Personalaufwand und Platzbedarf im Handel. Bei Abschlussarbeiten von uns gab es immer wieder Ergebnisse mit der Tendenz, dass Produkte in Einwegverpackungen preiswerter sind. Es gibt natürlich Ausnahmen. Unser Markt ist kostengetrieben, aus Sicht der Nachhaltigkeit „leider“.

Was Innovationen betrifft, so kommen viele Entwicklungen von etablierten Unternehmen, Start-ups und Instituten. Die Themen reichen vom besseren Verständnis von Haltbarkeit und Verderb, über recyclingfreundliche Barriereschichten und Druckfarben bis hin zu verbesserten Sortierverfahren. Meine Hoffnung ist, dass mehr davon in die Praxis umgesetzt wird.

Vielen Dank für das Interview, Herr Sängerlaub.

 

Bitte lesen Sie dazu auch unseren Artikel „Ursachenanalyse: Rekordanstieg des Verpackungsabfallaufkommens“.

 

 Hintergrund: Eurostat Statistiken


 
Im Jahr 2021 sind in der EU schätzungsweise 188,7 kg Verpackungsabfälle pro Einwohner angefallen.




Im Jahr 2021 sind Papier und Pappe (40,3 %), Kunststoff (19,0 %), Glas (18,5 %), Holz (17,1 %) und Metall (4,9 %) die häufigsten Verpackungsabfälle in der EU.