Die Zeit ist reif
08.05.2023 Retail Brands Design Artikel

Die Zeit ist reif

Seit Jahrzehnten gibt es Wein in Ein-Liter-Pfandflaschen. Das Mehrwegsystem feierte zwar einen gewissen Erfolg. Doch sein Marktanteil schrumpft. Nun haben baden-württembergische Genossenschaften eine 0,75-Liter-Pfandflasche entwickelt, die Bewegung in den Einweg-Markt bringen soll.

Baden-württembergische Genossenschaften haben eine 0,75-Liter-Pfandflasche für Wein entwickelt. Baden-württembergische Genossenschaften haben eine 0,75-Liter-Pfandflasche für Wein entwickelt.

Wenn alles klappt wie geplant, wird sie im Juli 2023 erstmals in den Regalen stehen: Deutschlands erste 0,75-Liter-Pfandflasche für Wein. Entwickelt hat sie in fast vierjähriger Kleinarbeit der Weinbauverband Württemberg. Zum Start hat die eigens dafür gegründete Wein-Mehrweg eG eine Million Flaschen beim Lieferanten Glashütte bestellt. Die werden dann in den zunächst zehn teilnehmenden Württemberger Genossenschaften befüllt und vor Ort sowie über den regionalen Getränkegroßhandel vermarktet. Geplant ist allerdings, das neue Pfandsystem auf ganz Deutschland auszuweiten.

Er habe sogar schon Anfragen aus Österreich, Italien und der Schweiz bekommen, berichtet Werner Bender, Vorstand der Wein-Mehrweg eG und Geschäftsführer der Heuchelberg Weingärtner. Bender gibt einen groben Marktüberblick: Von den zwei Milliarden Flaschen, die hierzulande jährlich über die Theke gehen, kommen 55 Prozent aus dem Ausland – alles Einweg. Und auch von den rund 900 Flaschen deutschen Weins seien maximal zehn Prozent Ein-Liter-Mehrweg – „eher weniger“.

Großes Potenzial also für ein Mehrwegsystem – zumal die Flaschenproduktion immer teurer wird, da die Glashütten mit steigenden Energiepreisen und einem knapper werdenden Rohstoff Glas kämpfen. Nicht zuletzt ist die Einwegflasche für fast 50 Prozent des CO2-Fußabdrucks von Wein verantwortlich.

Das Konzept der Württemberger Winzer klingt durchdacht. Die gemeinsam mit Designern entwickelte formschöne Flasche soll bis zu 50 Mal wiederverwendet werden. Sie ist robust und mit 560 Gramm deutlich schwerer als eine typische Bordeaux-Flasche (450 Gramm). Unschöne Reibungsringe würden dadurch vermieden, dass es nur unten einen breiten Etikettenschutz gebe, erklärt Bender. „In der Mitte laufen die Flaschen praktisch reibungsfrei durch die Anlagen.“ Ohnehin sei die mechanische Belastung geringer als etwa bei Mineralwasser, da Wein deutlich langsamer abgefüllt werde.

Gesorgt wurde auch dafür, dass die neue Flasche ins bestehende System passt – in die Spül- und Füllanlagen für Ein-Liter-Flaschen ebenso wie in deren 6er- und 12er-Kunststoffkisten. Sie sei damit für Produzenten und Erzeuger „sehr investitionsschonend“, so Bender. Getestet wurde das alles im ersten Schritt mit Holz-Dummys und anschließend mit einer Kleinserie von 150 Stück.

Höherer Preis für Pfand

Spannend werden dürfte indes, ob neben dem Getränkefachhandel – „die haben geradezu darauf gewartet“ – auch der Einzelhandel einsteigen wird. Dass der Handel keine zusätzliche Kiste aufnehmen muss, ist sicher ein Plus, ebenso die Kundenbindungschance durch die Rückgabe am POS. Die automatisierte Rückgabe am Automaten funktioniere ebenfalls, sagt Bender, das habe man bereits mit einem großen Pfandautomaten-Hersteller getestet. Letztlich dürften vor allem die Kunden über den Erfolg der Flasche entscheiden. Auch hier hat sich die Wein-Mehrweg eG im Vorfeld abgesichert. Das jetzige Produkt sei das Ergebnis von qualitativen Interviews mit 600 Weinkunden. Bender selbst wird die Pfandflasche zunächst für seine umsatzstärksten Weine parallel zu den bisherigen Einwegflaschen anbieten. „Dann sollen die Kunden entscheiden.“ 

Für die Mehrwegflaschen werden übrigens voraussichtlich 30 Cent Pfand fällig – und damit deutlich mehr als bei den bisherigen Liter-Flaschen. Denn deren fünf Cent „waren eindeutig zu wenig“, so Bender. Sie boten zu wenig Anreiz für die Rückgabe.

Mehrwegideen für Wein gibt es unterdessen auch anderenorts. Der baden-württembergische Genossenschaftsverband erforscht gerade gemeinsam mit dem Weincampus Neustadt die Potenziale. In Spanien will das Wein-Imperium Torres Mehrweg europaweit voranbringen. Und im pfälzischen Kirchheim an der Weinstraße hat das Weingut Galler kürzlich erstmals Wein in handelsübliche 0,5-Liter-Bierpfandflaschen abgefüllt – was aber eher ein Marketing-Gag sein dürfte.