Ursachenanalyse: Rekordanstieg des Verpackungsabfallaufkommens
13.11.2023 Look into Europe Insights Artikel

Ursachenanalyse: Rekordanstieg des Verpackungsabfallaufkommens

Neuer Rekord bei EU-Verpackungsabfällen: Eurostat berichtet von einem Anstieg auf 188,7 kg pro Einwohner im Jahr 2021, markiert durch den stärksten Zuwachs seit zehn Jahren. Experten warnen aber vor einer Überinterpretation der Zahlen.

Verpackungsabfälle türmen sich auf einer Mülltonne. Die Menge an Verpackungsabfällen in der EU betrug 2021 84 Millionen Tonnen.

Wie die europäische Statistikbehörde Eurostat kürzlich berichtete, hat das Verpackungsabfallaufkommen in der EU 2021 ein Rekordniveau erreicht. Insgesamt fielen 188,7 kg Verpackungsabfälle pro Einwohner an, das sind 10,8 kg mehr pro Person als im Jahr 2020, der stärkste Anstieg seit zehn Jahren, und fast 32 kg mehr als im Jahr 2011. Die Menge an Verpackungsabfällen in der EU betrug demnach 84 Millionen Tonnen, von denen 40,3 Prozent auf Papier und Pappe entfielen. Kunststoff machte 19,0 Prozent, Glas 18,5 Prozent, Holz 17,1 Prozent und Metall 4,9 Prozent aus. Infolge der strengeren Vorschriften, die 2020 für die Berichterstattung der Mitgliedstaaten über ihr Recycling eingeführt wurden, ging die Recyclingquote von 41,1 Prozent im Jahr 2019 auf 37,6 Prozent im Jahr 2020 zurück. Im Jahr 2021 stieg die Recyclingquote wieder an und lag bei 39,7 Prozent. 

Allerdings sollten diese Daten laut Sven Sängerlaub, BDVI-Vorstandsvorsitzender und Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München, nicht überinterpretiert werden: „Die Angaben von Eurostat sind Masseangaben. Wichtige Kenndaten zu Materialeffizienz, Packungsgrößen, Recycelbarkeit einzelner Verpackungen und zu Substitutionseffekten lassen sich daraus nicht ablesen.“ Auffällig sei ein stetig zunehmender Verbrauch an faserbasierten Verpackungen. Diese werden oft recycelt, womit sich deren Umweltwirkung relativiere.

Sabine Egidius, PR-/Marketing-Managerin beim Verband der Wellpappen-Industrie e. V. (VDW), sieht das ähnlich: „Einstoffliche Verpackungen aus Wellpappe stoßen im Zuge von Nachhaltigkeitsstrategien auf besonders großes Interesse, weil sie sich unkompliziert recyceln lassen und vollständig in den Stoffkreislauf zurückgegeben werden können. Die Recyclingquote von Wellpappe liegt in Deutschland schon heute bei 95 Prozent.“

 

Regulieren ja, aber wie?

Auch eine bereits im Juni 2023 von der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) und IFEU präsentiert Studie sieht mit Blick auf das Verpackungsaufkommen Licht am Ende des Tunnels: Die Experten argumentieren, dass zumindest in Deutschland der Peak beim Verpackungsbrauch 2021 überschritten wurde. Sie prognostizieren, dass der Verbrauch an Verpackungen in Zukunft kontinuierlich sinken wird. Gleichzeitig sollen der Einsatz von recycelten Materialien und die Recyclingquoten steigen. Lag der Verpackungsverbrauch (ohne Holz) 2021 noch bei 16 Millionen Tonnen, sinkt er nach Berechnungen der Studie bis 2030 auf 14 Millionen Tonnen sowie bis 2045 auf 11,7 Millionen Tonnen. „Das entspricht einer Einsparung um 13 Prozent bis 2030 sowie um 27 Prozent bis 2045“, so GVM-Geschäftsführer Kurt Schüler. Hinzu kommt, dass bereits beschlossene staatliche und europäische Regulierungen zwar in der Studie berücksichtigt wurden, geplante oder erwartete Regulierungen wie die neue Europäische Verpackungsverordnung (PPWR) aber nicht in die Prognosen einbezogen wurden, obwohl ihre allgemeinen Richtlinien ähnliche Wirkungen im Hinblick auf die Reduktion von Verpackungsabfällen haben dürften.

Günther Dehoust, Senior Researcher am Öko-Institut, erkennt ebenfalls einen positiven Trend: „Viele Bemühungen zur Vermeidung des Verpackungsaufkommens haben in den letzten Jahren gegriffen. Doch gleichzeitig ist auch der Konsum und damit das Verpackungsaufkommen stark gestiegen.“ Außerdem sind dem Forscher zufolge neue Bereiche wie der E-Commerce hinzugekommen. „Das führt natürlich nicht nur zu einem Anstieg des Verpackungsabfalls in den Haushalten, sondern durch die benötigten Transportverpackungen auch im Gewerbe“, betont Dehoust im Interview mit FACHPACK360°. Es gebe hier auch schon entsprechende Bemühungen, um hierfür Lösungen zu finden.

Sabine Egidus warnte allerdings vor starren Mehrwegquoten für E-Commerce- und bestimmte Transportverpackungen, wie sie die EU-Kommission in ihrem Entwurf einer europäischen Verpackungsverordnung anstrebt: „Aus unserer Sicht gilt es immer, die optimale Verpackung für ein konkretes Produkt und die jeweiligen Transportanforderungen zu finden. Optimal heißt in unserer Branche dabei ganz selbstverständlich: bestmöglich mit Blick auf Schutzwirkung und auf die Ökobilanz.“

Schwerwiegender Fehlentwicklungen, die zum Anstieg des Verpackungsaufkommens beitragen, sieht Dehoust beispielsweise beim Einsatz von Einwegflaschen für Wasser in den Discountern: „Die Tatsache, dass die Discounter überwiegend nicht auf Mehrweg setzen, hat bei Getränken zum Anstieg von Einwegverpackungen geführt.“ In Bereichen wie diesen fordert Dehoust steuern einzugreifen: „Wir benötigen ökologisch sinnvolle Mehrwegsysteme und müssen in bestimmten Fällen Einweg teurer machen.“ Eine Verpackungssteuer, die nach Klima- und Umweltschäden berechnet wird, sei hier eine Möglichkeit.

Die Debatte um die Gegenüberstellung der Umweltauswirkungen ist dabei momentan in vollem Gange. So sperrt sich die IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen zwar nicht dagegen, „Mehrwegverpackungen zu fördern, sofern diese nachweislich ökologisch vorteilhaft sind“. Der Verband betonte jedoch auch, dass Einweggetränkeflaschen Recyclingquoten von über 97 Prozent (GVM 2022) und einen stetig zunehmenden Einsatz an Recyclingmaterial aufweisen würden. „Die heutigen Einwegflaschen werden im Kreislauf geführt und brauchen den ökologischen Vergleich mit Mehrweg nicht zu scheuen“, meint IK-Geschäftsführerin Dr. Isabel Schmidt.

Es zeigt sich also deutlich, dass die Reduktion des Verpackungsabfallaufkommens eine differenzierte Herangehensweise erfordert. Während die Förderung von nachhaltigeren Verpackungslösungen und die Steigerung der Recyclingquoten ihre Wirkung zeigen, bleibt die Diskussion über optimale Verpackungsstrategien – beispielsweise zwischen Einweg- und Mehrwegsystemen – ein kritischer Punkt.