PBS gilt trotz noch früher Entwicklungsphase als vielversprechende Ergänzung, da es Flexibilität, mechanische Stabilität und biologische Abbaubarkeit verbindet. PHA bietet aufgrund seiner Barriereeigenschaften und Abbaubarkeit ebenfalls hohes Potenzial, ist jedoch derzeit noch zu kostenintensiv und in der Qualität zu variabel, weshalb es vor allem langfristig für Anwendungen relevant wird, in denen biologische Abbaubarkeit einen funktionalen Vorteil bietet. TPS wiederum punktet durch seine kostengünstige Rohstoffbasis und gute CO₂-Bilanz und zeigt – etwa im Projekt BioPrima – Potenzial für weniger anspruchsvolle und kurzlebige Anwendungen, bleibt aber aufgrund von Feuchteempfindlichkeit und notwendiger Barriereschichten herausfordernd. Insgesamt hängt das Potenzial aller biobasierten Kunststoffe stark vom End-of-life ab, und ihre Marktrolle wird maßgeblich von der PPWR geprägt, die darüber entscheidet, ob biobasierte Kunststoffe regulatorisch anerkannt werden; technisches Potenzial allein reicht nicht aus, entscheidend ist eine wirtschaftlich tragfähige Herstellung.
Auch Lieske bestätigt die wachsende Materialbreite: „Kein einzelnes Material wird dominieren, sondern es wird eine anwendungsspezifische Diversifizierung geben. PHA hat sicher ein großes Potenzial für Anwendungen, bei denen eine biologische Abbaubarkeit in natürlichen Umgebungen (z. B. Boden, Meer) entscheidend ist. Es ist aber extrem preisintensiv.“ Für den etablierten Markt starrer Verpackungen bleibt PLA nach den Worten der Expertin aufgrund seiner hohen Verfügbarkeit und Transparenz wichtig, während flexible und zähere Blends auf Basis von PLA-Copolymeren, PBS und TPS an Bedeutung für Folien und Beutel gewinnen könnten.
Infrastrukturlücke bleibt größtes Hindernis
Sowohl FNR als auch die Fraunhofer-Expertin weisen darauf hin, dass Materialinnovationen derzeit schneller voranschreiten als der Aufbau geeigneter Entsorgungs- und Verwertungssysteme. Lieske formuliert es deutlich: „Viele industrielle Kompostieranlagen in Deutschland lehnen bioabbaubare Kunststoffe ab, da sie die Prozesszeiten verlängern und als Störstoffe wahrgenommen werden. In anderen Ländern (Italien) funktioniert das dagegen gut.“
Gleichzeitig würden für das Recycling von Biokunststoffen wie PLA bisher kaum separate Sammelsysteme existieren, obwohl sie technisch möglich wären. „Es lohnt sich für die Recycler aufgrund der geringen Mengen im Materialstrom einfach noch nicht. Ein typisches Henne-Ei-Dilemma“, bringt Lieske es auf den Punkt.
Die FNR bestätigt diese Einschätzung. Beim Recycling seien allenfalls Biokunststoffe, die als Drop-in-Polymere vorliegen (z. B. biobasiertes PE oder PET), ohne Änderung der bestehenden Kunststoff-Recyclingwege kompatibel. Für Spezialbiokunststoffe (z. B. PLA, PHA) würden zwar theoretische mechanische oder chemische Recyclingoptionen bestehen, doch mangle es derzeit in Europa an ausreichenden Mengenströmen, separaten Sortierpfaden und standardisierten Abläufen.
„Mittel- bis langfristig könnte der Ausbau chemischer Recyclingverfahren eine wichtige Rolle spielen — hierfür sind jedoch Investitionen in Sammlung, Sortierung und Recyclinganlagen notwendig“, so die Fachagentur weiter.
Marktskalierung: Wachstum ja – industrielle Breite erst mittelfristig
Trotz regulatorischer Unsicherheit rechnen die Experten mit einer fortschreitenden Skalierung. Die FNR geht beispielsweise von einem globalen Marktvolumen von über fünf Millionen Tonnen Biokunststoffen innerhalb der kommenden Jahre aus. Dabei sei zu erwarten, dass sich das Wachstum nicht gleichmäßig über alle Materialklassen verteilt: „Einige biobasierte Kunststoffe verfügen bereits heute über eine reifere industrielle Basis und können entsprechend schneller skaliert werden, während andere aufgrund technischer oder wirtschaftlicher Faktoren langsamer wachsen werden.“ Gleichzeitig bestehen laut Agentur Herausforderungen, die das Marktwachstum bremsen können. Dazu zählen hohe Investitionskosten für neue Anlagen, eine teilweise volatile Preisentwicklung biobasierter Rohstoffe, der noch unzureichend harmonisierte regulatorische Rahmen in der EU sowie der fehlende Aufbau spezialisierter Recyclingstrukturen für bestimmte Materialsysteme. Insgesamt geht die FNR jedoch davon aus, dass biobasierte Kunststoffe ihre industrielle Skalierung in den kommenden Jahren deutlich vorantreiben werden und im globalen Kunststoffmarkt weiter an Bedeutung gewinnen – wenn auch in unterschiedlicher Dynamik je nach Materialsystem.
Diese Einschätzung teilt auch Dr. Antje Lieske vom Fraunhofer IAP, die vor allem bei Drop-in-Polymeren kurzfristige Fortschritte erwartet: „Eine weiter Skalierung wird sicher stattfinden. Biobasierte Drop-in-Polymere wie Bio-PET oder bio-PE werden vermutlich wachsen, da sie nahtlos in bestehende Produktions- und Recyclinganlagen integriert werden können. Auch für PEF steht eine Markteinführung vermutlich kurz bevor.“ Die Produktionskapazitäten für PLA, PBS und insbesondere für PHA werden nach Ansicht von Lieske wohl ebenfalls signifikant ausgebaut werden, aber eine flächendeckende industrielle Nutzung würde durch die noch hohen Kosten (PHA) und die ungelöste Entsorgungsfrage (alle) gebremst. „Eine echte Massenanwendung über Nischen hinaus wird daher nach meiner Einschätzung wohl eher am Ende dieses Zeitraums oder später beginnen“, so Lieske.
Damit wird deutlich: Die Skalierung kommt – aber sie kommt differenziert, materialabhängig und mit Verzögerung. Biokunststoffe werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen, ihren industriellen Durchbruch jedoch erst dann erreichen, wenn Regulierung, Wirtschaftlichkeit und Entsorgungsinfrastruktur gemeinsam nachziehen.
Autor: Alexander Stark, Redaktion FACHPACK360°