Preisdruck: Recyclingbranche in der Krise
Trotz wachsendem Umweltbewusstsein und anstehender EU-Quote für den Rezyklateinsatz in Kunststoffverpackungen kämpft die Recyclingindustrie mit der effektiven Vermarktung von Post Consumer Rezyklaten. Die Hauptursache liegt in der preislichen Konkurrenz zu Neuwaren. Wie beurteilen die Markenartikler die Lage und wie ließe sich der Rezyklatanteil steigern?
Die Recyclingbranche sieht sich im Hinblick auf Post-Consumer-Rezyklate (PCR) mit bedeutenden Herausforderungen konfrontiert. Obwohl das Bewusstsein für eine nachhaltige Materialwirtschaft mittlerweile in Gesellschaft und Industrie fest verankert ist, kämpfen Recycler mit dem Problem, ihr Post Consumer Rezyklat effektiv am Markt zu platzieren. Ein wesentlicher Faktor, der diese Krise befeuert, liegt daran, dass Neuware meist günstiger angeboten wird als recycelte Materialien. Diese Diskrepanz führt zu einer wirtschaftlichen Schieflage, die sich in der Stilllegung erster Recyclingwerke manifestiert. Doch die Zeit drängt: Die EU hat im Rahmen der EU-Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PWWR) eine Quote für den Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffverpackungen festgelegt, mit dem Ziel, bis 2030 einen Rezyklatanteil von 30 % zu erreichen. Auch die Verbraucher wünschen sich nachhaltiger Verpackungen und dass ihre im Gelben Sack gesammelten Wertstoffe wieder zu neuen Verpackungen werden.
Die Realität des Kunststoffrecyclings ist jedoch komplexer. Oft endet das Recycling in Form von Downcycling, wobei die aufbereiteten Kunststoffe für minderwertigere Produkte verwendet werden. Das kann auch Tilmann Rothhammer, Geschäftsführer Customer Service und Supply Chain bei Coca-Cola Europacific Partners Deutschland, bestätigen: „In Sachen rPET steht die Getränkebranche in Deutschland vor einer enormen Herausforderung. Zwar kommen fast 98 % der PET-Einwegpfandflaschen über das Pfandsystem zurück. Doch ein Großteil des wertvollen PET-Materials wird nicht wieder zu Flaschen, sondern zu Verpackungen von Putzmitteln, Kosmetik oder Textilien – also wiederverwertet, faktisch aber downgecycelt. Dieses Material ist für eine Verwendung in Getränkeflaschen unwiederbringlich verloren“. Der Konzern kann sich damit rühmen, vor über 30 Jahren als weltweit erstes Getränkeunternehmen, recyceltes Material in einer PET-Einwegflasche eingesetzt zu haben. „Seitdem haben wir die Verwendung von recyceltem PET in unseren Flaschen gemeinsam mit Partnern erforscht und vorangetrieben. 2015 haben wir in Deutschland die erste PET-Einwegpfandflasche aus vollständig recyceltem Material eingeführt, seit 2021 bestehen alle unsere Getränkeflaschen bis zu einer Größe von 0,5 Litern aus rPET.“
Der Getränkehersteller steht wie andere Markenartikler vor dem Problem, nur lebensmitteltaugliches rPET wie aus dem Pfandsystem einsetzen zu können. Auch Danone sieht sich deshalb mit einem Dilemma konfrontiert. „Die Situation ist sehr komplex – einerseits haben vor allem die PET-Flaschen-Recycler im Moment mit Absatz-Herausforderungen und vollen Lagern zu kämpfen, auf der anderen Seite steht die PPWR vor der Türe. Dies hat zur Folge, dass der Bedarf nach lebensmitteltauglichen recyceltem PET in Zukunft steigen wird“, erklärt Michael Stumpf, Circular Packaging Manager bei Danone DACH.
Recyclingtechnologie ist vorhanden
Lange Zeit stellte die nicht ausgereifte Recyclingtechnologie eine Hürde für den Rezyklateinsatz in vielen Verpackungen dar. Mittlerweile wurden hier aber erhebliche Fortschritte gemacht, die ein Downcycling verhindern können. Hierzu haben zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsinitiativen wie jene von Werner&Merz beigetragen. Doch auch Henkel hat Fortschritte in der Recyclingtechnologie forciert. „Henkel arbeitet hier zusammen mit Partnern der Kreislaufwirtschaft, um die Rezyklat-Qualität zu steigern, wodurch wir auch ermöglichen, mehr Rezyklat einzusetzen. Unter anderem gab es in den letzten Jahren deutliche technologische Fortschritte und Innovationen im Bereich der Recyclingbranche, z. B. im Waschen von Flakes, NIR-Sortiertechnologie oder der Dekontamination. Auch durch den Einsatz von Objekterkennung mit künstlicher Intelligenz ergeben sich neue Potenziale in der Kreislaufwirtschaft“, erläutert Sebastian Hinz, Head of External Communications bei Henkel.
Ungünstige Rahmenbedingungen
Der ausschlaggebende Grund für die aktuelle Schieflage im Rezyklatgeschäft geht von den Marktbedingungen aus. So wirken sich gestiegene Kosten für Rezyklate im Vergleich zu Neuware negativ auf die Attraktivität des recycelten Materials aus, führen zu Produktionsrückgängen und schränken die Lagerbestände ein. Einige Unternehmen mussten deshalb ihre Recyclinganlagen sogar schließen, beklagte bvse-Vizepräsident Dr. Herbert Snell im Dezember 2023. Das strukturelle Problem liege offensichtlich darin, dass Rezyklate nicht eingesetzt werden, wenn Neuware preisgünstiger sei, so Snell und ergänzt: „Allein im zweiten Quartal dieses Jahres ist die Menge der in die EU eingeführten PETs gegenüber dem Vorjahr um 20 % gestiegen, weil PET-Neuware aus dem Ausland billiger ist.“
Sebastian Hinz ist sich der schwierige Lage der Recycler bewusst: „Es ist zu beobachten, dass – möglicherweise aufgrund des angespannten wirtschaftlichen Umfeld – bei einigen Marktteilnehmer die Rezyklatmengen reduziert wurden.“ Hinz betont aber, dass Rezyklat grundsätzlich teurer sei als Virgin Plastic. „Deshalb sind langfristige Partnerschaften mit Firmen aus der Kreislaufwirtschaft für uns wichtig und Bestandteil unserer Strategie. Dies hilft auch dabei, die teils starken Schwankungen bei den Preisen für Rezyklat abzufedern.“
Vor diesem Hintergrund sind sich Markenartikler und Recycler weitgehend einig, dass langfristig nur besser gesetzliche Rahmenbedingungen ein positives Marktumfeld für PCR schaffen können. „Es müssen die notwendigen Anreize gesetzt werden, die auf die gesamte Wertschöpfungskette abzielen, um Investitionen in Recyclingkapazitäten und technologische Entwicklungen voranzutreiben. Zu diesem Zweck müssen die Stärkung der Recycling- und Rezyklateinsatzziele, die Förderung von Design-for-Recycling und die Bewältigung verbleibender Herausforderungen in der Abfallwirtschaft, z. B. die Qualität der dem Recycling zur Verfügung gestellten Rohstoffe, wie z. B. aus den dualen Systemen, ganz oben auf der politischen Agenda stehen“, fordert beispielsweise der bvse-Vizepräsident Snell.
Und auch Bernd Büsing, Leitung Verpackungen bei Nestlé Deutschland, bestätigt: „Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass der Markt das Thema der Rezyklate allein nicht regeln kann und in Zukunft höchst wahrscheinlich auch nicht wird. Die Recyclingwirtschaft benötigt Planungssicherheit für notwendige und überfällige Investitionen. Dazu gehören stabile Preise und eine dauerhafte Nachfrage nach den Produkten. Regulatorische Rahmenbedingungen sind hierfür unter anderem ein geeignetes Mittel, um eine stabile Nachfrage über beispielsweise gesetzliche Mindesteinsatzquoten zu garantieren.“