Die Nachhaltigkeitsoffensiven des Handels
02.05.2023 New Creations Innovative Processes Artikel

Die Nachhaltigkeitsoffensiven des Handels


Die Handelsunternehmen Edeka und Lidl haben in diesem Frühjahr die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt gestellt – Edeka durch einen „Fortschrittsbericht“, auch zu Verpackungen, Lidl mit einer Kampagne zur „Kreislaufflasche“. Beides zeigt: Der Handel ist in Bewegung.

Nachhaltigkeit im Handel: Edeka und WWF kooperieren. Nachhaltigkeit im Handel: Edeka und WWF kooperieren.
Seit 2009 berät die Umweltschutz-Organisation WWF den Edeka-Verbund in Sachen Nachhaltigkeit. Mitte April verlängerten beide Seiten den Vertrag „bis mindestens 2032“.

Noch 2021 stellte die auf Verpackung spezialisierte Unternehmensberatung Tilisco der Kooperation kein gutes Zeugnis aus. Sie monierte, „dass den vollmundigen Ankündigungen zu einem der acht Kernthemen, der Verpackung, bis heute keine spür- und sichtbaren Konsequenzen folgen“, so Packaging Analyst Sonja Bähr. „Konkrete Veränderungen? Fehlanzeige.“

Das hat sich geändert. Im „Fortschrittsbericht 2022“, erschienen am 19. April 2023, listen Edeka und der WWF eine ganze Reihe Veränderungen auf. Drei Beispiele:

Einweg-Getränkeflaschen mit Pfand: Den Anteil an recyceltem Polyethylenterephthalat (rPET) an der Gesamtmenge von 15.320 Tonnen PET gibt Edeka mit 24,75 Prozent an (bei 81 relevanten Artikeln). Ziel seien 25 Prozent, im Sommer 2020 habe der Anteil noch bei 1,48 Prozent gelegen.
Drogerie/Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel: Der Anteil rPET an der Gesamtmenge von 687,79 Tonnen PET beträgt laut Edeka 64,34 Prozent (bei 25 relevanten Artikeln). Ziel seien 30 Prozent, im Sommer 2020 habe der Anteil noch bei null Prozent gelegen.
PVC: Für 2021 nennt Edeka 53 Artikel mit PVC-Anteilen in den relevanten Artikelgruppen. Im Sommer 2020 seien es noch 237 gewesen, das Ziel lautet allgemein „Vermeidung von PVC“. 

Lauter gute Nachrichten also, die allerdings zum Teil auf Treu und Glauben basieren. „Es gibt aktuell keine labortechnischen Untersuchungsmethoden, die Rezyklatanteile bestimmen können“, so Edeka auf die Frage, wie die rPET-Anteile kontrolliert werden. „Die von uns genannten und vom Wirtschaftsinstitut KMPG geprüften Werte zum Rezyklatanteil beruhen somit auf Angaben aus den Produktionsprozessen und den vertraglichen Vereinbarungen, die wir mit unseren Lieferanten getroffen haben.“

Mit ihren Zahlen steht Edeka jedenfalls im Markt ziemlich gut da. Das „Handelsblatt“ berichtete, ebenfalls im April 2023, große Markenartikler „drohen ihre Plastik-Ziele zu verfehlen“. Beim einen liege der Altplastik-Anteil bei 16 Prozent – „kaum mehr als zwei Jahre zuvor“. Der andere habe die Quote im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppelt, liege aber bei lediglich zehn Prozent. Und der dritte erreiche 26 Prozent, peile aber mit 50 Prozent bis 2025 ein unrealistisches Ziel an.

Was macht Edeka besser? Die Zentrale mag das nicht beurteilen, sagt aber: „Grundsätzlich sehen wir uns alle, Hersteller und Händler, sicherlich den gleichen Herausforderungen gegenüber: begrenzte Verfügbarkeiten von Rezyklaten, regulative Einschränkungen beim Einsatz von Rezyklat, volatile Lieferketten und auch Kosten.“

Lidl: Flaschenkörper aus 100 Prozent Rezyklat


Ein anderes Handelsunternehmen stellt die Verpackung im Frühjahr 2023 sogar in den Mittelpunkt des Außenauftritts: Lidl, ein Teil des Schwarz-Konzerns. Für die Kampagne „Aus Liebe zur Natur“ wurde Fernsehmoderator Günther Jauch als Gesicht gewonnen („Fachpack 360°“ berichtete).

„Bei Lidl in Deutschland sind seit Sommer 2021 über 60 Artikel der Getränke-Eigenmarken ,Saskia‘, ,Freeway‘ und ,Solevita‘ in Kreislaufflaschen erhältlich“, schreibt Lidl. Der Körper dieser „Kreislaufflaschen“ bestehe zu 100 Prozent aus rPET. Es handele sich „um eine der ökologischsten Flaschen im Vergleich zu den untersuchten marktüblichen Mehrwegflaschen“, denn „gute Einwegsysteme mit Pfand [können] genauso klimaschonend sein können wie gute Mehrwegsysteme, wenn sie das Material im Kreis führen“. Die Deutsche Umwelthilfe äußerte einige Kritik an der Methodik der Studie, unter anderem, dass der Vergleich Einweg versus Mehrweg hinke, auf die Lidl wiederum mit einer langen Antwort reagierte.

Auch Lidl-Schwester Kaufland nennt auf Anfrage von „Fachpack 360°“ eine Reihe von Produkten, die jetzt mit weniger oder gar ohne Kunststoff auskommen:
 
Einige Joghurt- und Frischkäseartikel der Eigenmarken „K-Classic“, „K-Free“ und „K-take it veggie“ trügen statt Plastik-Einwegdeckel wiederverwendbare Mehrwegdeckel. Das spare rund 60 Tonnen Kunststoff pro Jahr. 
Die Verpackungen einiger Produkte im Drogeriebereich (Kaufland nennt Duschgel und Zahnbürsten) bestünden bis zu 100 Prozent aus recyceltem Plastik. „So konnten bei Kaufland in Deutschland im Jahr 2021 insgesamt 12.187 t Rezyklat eingesetzt werden.“
Wattestäbchen und Kosmetiktücher-Boxen von Bevola werden jetzt in Papier statt in Kunststoff verpackt.
Lebensmittel stecken zunehmend in Papierverpackungen auf Basis von Silphie-Pflanzen. Kaufland nennt Lachs und Obst. Die Verpackungen stammen vom konzerneigenen Unternehmen Pre Zero.

Einen systematischen Überblick wie Edeka geben weder Lidl noch Kaufland, auch nicht im „Nachhaltigkeitsbericht GJ 2020 / 2021“ der Schwarz Gruppe. Von unternehmensübergreifenden Standards und Reportings gar ist die gesamte Branche noch weit entfernt – nach Angaben von Tilisco gibt es elf verschiedene Methoden allein für die Bemessung von Recyclingfähigkeit. 

„Fehlanzeige“ für konkrete Veränderungen gilt allerdings nicht mehr. Der Handel zeigt, dass er unterwegs ist.