- 13.07.2025
- Länder-/Marktbericht
- Look into Europe
Länderbericht: Recyclingwende in der Schweiz nimmt Fahrt auf
Die Schweizer Verpackungsbranche trotzt schwierigen Rahmenbedingungen – doch sinkende Auslastung und Fachkräftemangel drücken auf die Stimmung. Gleichzeitig geht mit dem neuen RecyPac-System ein ambitionierter Wandel im Kunststoffrecycling an den Start.

Trotz einer konjunkturellen Abkühlung und geopolitischer Unsicherheiten – etwa infolge des Krieges in der Ukraine – bleibt die Schweizer Verpackungswirtschaft insgesamt stabil. Die steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie zunehmende Störungen in Lieferketten machen sich in einer Konjunkturumfrage des Schweizerischen Verpackungsinstituts (SVI) jedoch deutlich bemerkbar. Vor allem die rückläufigen Auftragsbestände und die gesunkene Betriebsauslastung spiegeln die Belastung der Unternehmen wider.
Erfreulich ist: Die Beschäftigtenzahl steigt weiter. Rund 31 Prozent der befragten Unternehmen haben 2023 Personal aufgestockt – ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (37 Prozent), aber ein klares Zeichen für strukturelle Stabilität. Der Anteil der Firmen mit Personalabbau sank von 21 Prozent im Vorjahr auf nur noch 10 Prozent. Auch die Ausbildungsaktivitäten blieben auf hohem Niveau: 76 Prozent der Unternehmen bilden derzeit Nachwuchskräfte aus.
Die Beschäftigung nimmt zu, doch der Mangel an Fachkräften bleibt das drängendste Problem. 78 Prozent der Unternehmen berichten von Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden – ein erneuter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Besonders betroffen sind Positionen mit höheren Berufsbildungsabschlüssen. Auch die Rekrutierung akademischer Spezialisten (13 Prozent) sowie anlernbarer Mitarbeitender ohne Berufsabschluss (11 Prozent) bereitet zunehmend Probleme. Der Mangel an Fachkräften ist nicht die einzige Herausforderung: Auch die wirtschaftliche Entwicklung zeigt eine klare Abkühlung – insbesondere bei Auslastung und Auftragseingang.
Auftragslage schwächelt, Gewinne halten Kurs
Die durchschnittliche Betriebsauslastung ist 2023 weiter gesunken. Während 2022 noch rund 30 Prozent der Unternehmen eine Auslastung von über 100 Prozent meldeten, waren es 2023 nur noch knapp 20 Prozent. Ein Viertel der befragten Firmen lag mit ihrer Auslastung unter 80 Prozent – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Vorjahr.
Gleichzeitig berichteten nur noch 28 Prozent der Unternehmen von steigenden Auftragsbeständen – vor zwei Jahren waren es noch 74 Prozent. Unternehmen mit gleichbleibender oder wachsender Auftragslage machen mittlerweile nur noch 72 Prozent der Gesamtheit aus. Der seit drei Jahren anhaltende Trend zeigt: Die Konjunkturflaute ist in der Schweizer Verpackungswirtschaft angekommen.
Inflation und volatile Rohstoffpreise erschweren eine eindeutige Bewertung der Umsatzzahlen. Knapp 36 Prozent der Unternehmen konnten ihre Umsätze steigern, 33 Prozent blieben auf Vorjahresniveau und 31 Prozent meldeten Rückgänge. Im Vorjahr hatten noch fast die Hälfte der Betriebe Umsatzsteigerungen verzeichnet.
Als aussagekräftiger gelten die Gewinne: 52 Prozent der Unternehmen meldeten stabile Erträge, 25 Prozent steigende und nur 23 Prozent rückläufige Gewinne. Damit zeigt sich die Branche trotz Belastungen als vergleichsweise widerstandsfähig.
Nachhaltigkeit bleibt bestimmender Trend
Wie in vielen westlichen Ländern ist Nachhaltigkeit auch in der Schweizer Verpackungsindustrie ein zentraler Innovationstreiber geworden – nicht zuletzt aufgrund der steigenden Erwartungen der Verbraucher. So wünschten sich 2024 rund 72 Prozent der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten einen größenoptimierten Versand durch individuell angepasste Kartongrößen. 68 Prozent bevorzugten wiederverwendbare Verpackungen für Online-Bestellungen. Auch Mehrwegverpackungen wie Versandtaschen und Boxen (60 Prozent) sowie Verpackungen aus Recyclingmaterial (68 Prozent) standen hoch im Kurs. Die Erwartungen an umweltfreundliche Lösungen steigen damit kontinuierlich.
Schweiz auf der Suche nach geeignetem Sammelsystem
Parallel zum gestiegenen Umweltbewusstsein der Konsumenten forciert auch die Politik neue Strukturen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Die Schweiz setzt dabei auf erweiterte Produzentenverantwortung und freiwillige Branchenlösungen, um das Recycling von Kunststoffverpackungen und Getränkekartons zu stärken. Mit der Gründung der Branchenorganisation RecyPac und dem Start eines national koordinierten Sammelsystems ab 2025 nimmt die Schweizer Kreislaufwirtschaft konkretere Züge an. RecyPac vereint Hersteller, Händler, Entsorger und Recycler mit dem Ziel, eine flächendeckende Sammlung und Verwertung von Kunststoffverpackungen und Getränkekartons zu etablieren – Bereiche, in denen bislang keine einheitlichen Standards existierten.
Im Januar 2025 begann in ausgewählten Pilotgemeinden – unter anderem in Bern – die Sammlung mittels kostenpflichtigem RecyBag. Dieser Sammelsack soll sämtliche Haushaltskunststoffverpackungen (ausgenommen PET-Getränkeflaschen, für die ein separates System besteht) sowie Getränkekartons aufnehmen. Bürgerinnen und Bürger kaufen den Sack im Handel, worüber ein Teil der Kosten gedeckt wird. Weitere Finanzierungsbeiträge kommen von den Inverkehrbringern der Produkte. Damit setzt die Initiative auf das in der Schweiz etablierte Verursacherprinzip gemäß Umweltschutzgesetz (USG) und Abfallverordnung (VVEA). Die Wettbewerbskommission (WEKO) genehmigte das System im Frühjahr 2024, wodurch der Weg für eine nationale Umsetzung frei wurde (Quelle: Swiss Recycling, 2024).
Ziel von RecyPac ist es, die bislang geringe Recyclingquote im Haushaltsbereich deutlich zu steigern. Aktuell liegt diese bei nur rund 10 Prozent für Haushaltkunststoffe – ein Großteil wird thermisch verwertet, also verbrannt. Angesichts der jährlich anfallenden knapp 790.000 Tonnen Kunststoffabfälle ist das Potenzial für stoffliche Verwertung enorm. Gleichzeitig konkurriert das neue System mit bestehenden regionalen Sammellösungen, etwa dem privatwirtschaftlich organisierten „Sammelsack“ von Bring Plastic Back, der bereits in über 500 Gemeinden angeboten wird.
Rechtlich bewegt sich die Schweiz damit auf einen Paradigmenwechsel zu. Zwar gibt es bislang keine explizite Verpackungsverordnung wie in der EU, doch mit dem Start von RecyPac wird faktisch eine erweiterte Produzentenverantwortung (EPR) eingeführt. Diese umfasst künftig nicht nur Rücknahme und Finanzierung, sondern auch Mitverantwortung für die Verwertung der Verpackungen. RecyPac sieht vor, dass Rezyklat möglichst wieder in Verpackungsanwendungen zurückgeführt wird, um echte Kreisläufe zu schließen – ganz im Sinne der geplanten Totalrevisiondes Umweltschutzgesetzes, mit der der Bundesrat die Kreislaufwirtschaft stärken will.
Während PET, Glas und Aluminium bereits seit Jahren mit verbindlichen Verwertungszielen reguliert sind – mindestens 75 Prozent Recyclingquote gemäß Verordnung über Getränkeverpackungen (VGV) –, fehlte eine vergleichbare Regelung bislang für Mischkunststoffe und Verbundmaterialien. Das dürfte sich mit RecyPac ändern. Auch wenn das System zunächst freiwillig ist, gehen Beobachter davon aus, dass es künftig als Grundlage für eine breitere Regulierung dienen könnte – insbesondere mit Blick auf die Harmonisierung mit der geplanten EU-Verpackungsverordnung (PPWR), die ebenfalls eine EPR-Pflicht vorsieht.
Ein zentrales Element der neuen Sammlung ist die Transparenz: RecyPac will Rückverfolgbarkeit, Ökobilanzdaten und Recyclingquoten offenlegen – ein Anspruch, der bislang vielen bestehenden Lösungen fehlt. Laut Branchenverband Swiss Recycling soll die Sammlung zudem sozialverträglich gestaltet werden, etwa durch Einbindung von Sozialinstitutionen beim Sortieren oder durch eine gestaffelte Preisstruktur für Haushalte. Langfristig könnte RecyPac damit zum Schweizer Standardmodell für Verpackungsrecycling werden – getragen von der Industrie, unterstützt durch Politik und Gemeinden.
Autor: Alexander Stark