• 07.07.2025
  • Interview

„Wir haben mit der Versorgung mit Rohstoffen keine Probleme“

Der deutsche Behälterglas-Markt musste 2024 erneut ein wirtschaftlich durchwachsenes Jahr verzeichnen. Dr. Johann Overath, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Glas, erklärt im Interview mit FACHPACK360° die Gründe für die Entwicklung, die aktuelle Situation und die Perspektiven für die kommenden Jahre.
Glasflaschen in unterschiedlichen Farben.
Bei den Absätzen von Behälterglas gab es in Deutschland 2024 ein leichtes Plus.
Porträt von Dr. Johann Overath, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Glas.
Dr. Johann Overath, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Glas, sieht die PPWR als Chance für die Behälterglasindustrie. Herausfordernd werde das Thema Verpackungsminimierung sein.

Der Absatz von Behälterglas lag 2024 mit 3,8 Millionen Tonnen um rund 2,5 Prozent unter den Zahlen des Vorjahres. In Deutschland gab es ein geringes Wachstum, im Ausland setzte sich der Rückgang fort. Wie erklären Sie diese Entwicklung?

Der Rückgang ist kein deutsches Thema, er zeigt sich bei nicht befülltem Behälterglas fast durchgängig in Europa, allerdings mit Unterschieden in den einzelnen Ländern. Wir hatten von 2022 bis 2024 in Europa einen Rückgang von elf Prozent. Dabei war er in den Jahren 2022 und 2023 viel stärker, der Tiefpunkt war 2023 erreicht. Im vergangenen Jahr ging es in Europa (EU27) leicht bergauf, für das erste Quartal dieses Jahres gibt es in Deutschland erste positive Zeichen, auch im Auslandsabsatz. Wir können noch keine konkreten Zahlen kommunizieren, aber eine Trendwende zeichnet sich bereits ab.

Was sind die Hauptursachen?

Für Deutschland sind es verschiedene Faktoren. Die Hauptursache ist der starke Exportrückgang, da die Auslandsnachfrage nach Leerglas zurückgegangen ist. Ein weiterer Faktor sind die Lagerbestandsveränderungen: Während der Corona-Pandemie und der Gasmangel-Krise haben sowohl Glashersteller, Kunden als auch der Handel Lager aufgebaut, die jetzt abgebaut werden. Auch die Nachfrage bei den Konsumenten ließ nach, was auf die Inflation zurückzuführen ist. Die Abwanderung in Konkurrenzprodukte und in Mehrwegprodukte spielt auch eine, aber eher untergeordnete, Rolle.

Wie sieht die Entwicklung beim Blick auf die einzelnen Märkte in Europa aus?

Wie gesagt gab es für die EU insgesamt ein Minus von elf Prozent. Unsere wichtigsten Märkte sind Frankreich, Polen und Italien. Dort gab es überall Rückgänge, in Frankreich bis zu 33 Prozent. Das gilt auch für andere Länder, deutlich bergauf ging es in Kroatien und Slowenien. Unsere Branche hat nur wenig Einflussmöglichkeiten. Entscheidend sind die Abfüller: Sie bestimmen die Nachfrage.

Welche Rollen spielen veränderte Konsumgewohnheiten, wie der Trend zu weniger Alkoholkonsum?

Der Trend ist da, er ist aber auch saisonabhängig. Über einen längeren Zeitraum sinkt der Alkoholkonsum, die Verbraucher greifen verstärkt zu alkoholfreien Getränken. Die Produktion der alkoholfreien Biere hat 2024 laut Statistischem Bundesamt um 4,1 Prozent zugenommen. Es gibt auch einen Trend zu alkoholfreien Weinen. Aber Glas ist das bevorzugte Verpackungsmittel, hier gibt es eine Chance für die Glasindustrie. Bei den nicht-alkoholischen Getränken geht es bergauf. Und es gibt einen weiteren Trend – hin zu Mehrweg.

Wie stark beeinflussen die gestiegenen Energiekosten die Preisgestaltung und Wettbewerbsfähigkeit von Behälterglas?

Die Produktion von Behälterglas ist energieintensiv, und wir sind von den hohen Energiekosten betroffen. Wir gehören zu den energieintensiven Industrien und alle haben damit zu kämpfen. Die Energiekosten sind heute immer noch höher als vor der Krise. Sie sinken seit ein paar Jahren, doch das alte Niveau haben wir noch lange nicht erreicht. Die Produzenten in Deutschland haben hier einen Wettbewerbsnachteil.

Das heißt, hier ist die Politik gefordert?

Ja, die neue Regierung muss hier aktiv werden, im Gespräch ist ja bereits seit längerem ein Industriestrompreis. Derzeit wird auch die Netzentgelt-Systematik überarbeitet, hier ist es dringend erforderlich, dass die Glasindustrie weiterhin eine Netzentgelt-Reduzierung erhält. Auf europäischer Ebene setzen wir uns für die Aufnahme der Glasindustrie auf die EU-Strompreiskompensationsliste im Rahmen des Emissionshandels ein. 

Bislang ist nur ein sehr kleiner Teil der Glasindustrie auf der Liste, doch wir müssen dazu. Für die Dekarbonisierung der Glasherstellung benötigen wir grünen Strom und Wasserstoff, die Energie-Infrastruktur dafür ist aber noch nicht vorhanden, und ihre Einrichtung führt zu hohen Infrastruktur-Kosten. Auch hier ist eine Entlastung enorm wichtig.

Welche Erwartungen haben Sie außerdem an die neue Regierung?

Ganz allgemein brauchen wir mehr Planungssicherheit bei den anstehenden Industrieprojekten und einen wirklichen Bürokratieabbau. Weiterhin müssen wir beim Recycling eine höhere Quote erreichen. Es gibt hier immer noch Potenziale. Doch das liegt nicht an uns. Die Verbraucher sammeln mehr Glas, doch es landet immer noch einiges im Hausmüll. Wir leisten hier bereits seit Jahren mit unserer Kampagne „Was passt ins Altglas“ Aufklärungsarbeit, würden uns bei dem Thema aber auch noch mehr politische Unterstützung wünschen.

Ein weiterer Kostenfaktor sind die Rohstoffe. Wie beurteilen Sie die aktuelle und zukünftige Rohstoffversorgung?

Die Rohstoffe werden teurer, da beispielsweise die Produktion von Soda energieintensiv ist. Doch wir haben mit der Versorgung mit Rohstoffen keine Probleme, und es sind auch keine zu erwarten. Deutschland ist nicht so rohstoffarm, wie oft gesagt wird, und wir haben 98 Prozent der mineralischen Rohstoffe, die wir für die Glasproduktion benötigen, hier in Deutschland. Das ist unser großer Vorteil. 

Auch beim Recycling haben wir keine Probleme, im Gegenteil: Wie ich bereits erwähnte, könnten wir noch mehr Scherbenglas einsetzen, wenn mehr Altglas gesammelt würde.

Wie stark ist der Behälterglas-Markt von den regulatorischen Vorgaben wie dem Verpackungsgesetz oder dem EU-Recht betroffen?

Die neue Europäische Verpackungsverordnung, PPWR, beschäftigt uns sehr stark. Doch wir haben hier große Pluspunkte, die wir noch stärker betonen und uns dann damit positionieren müssen. Unsere Produkte sind zu 100 Prozent recyclingfähig. Wir verfügen über alles, um davon zu profitieren. Wir können die geforderten Qualitätsstandards erfülle. Es ist unser Ziel, das nach außen zu vermitteln. 

Herausfordernd ist das Thema Verpackungsminimierung. Wir können die Glasverpackungen natürlich standardisieren, darunter leiden aber Vielfalt und Markenbildung. Die Interessen in diesen Punkten auszugleichen, wird ein wichtiges Thema werden.

Insgesamt enthält die PPWR Verpflichtungen, die einen hohen Aufwand für die Unternehmen bedeuten. So sollen beispielsweise künftig neben Paletten und Zwischenlagen, die bereits mehrwegfähig sind, auch die Schrumpffolien mehrwegfähig werden. Das ist aber in der Praxis aus vielerlei, nicht zuletzt auch aus hygienischen Gründen, nicht zu realisieren. Wir hoffen hier auf eine Regelung. Es ist noch vieles unklar, und wir bringen uns da sehr aktiv in den Prozess ein, um den Aufbau von unnötiger Bürokratie zu verhindern.

Welche Entwicklung der Branche erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Prognosen sagen, dass wir in Bezug auf das Jahr 2022 bis 2030 noch etwas an Absatz verlieren werden, doch aktuell sieht es so aus, dass die Talsohle bereits durchschritten ist, und es wieder aufwärts geht. Der Absatz wird sich wieder einpendeln und stabil halten. Die Abfüller und die Verbraucher werden sich nicht vom Glas abwenden.

 

Zur Person: Dr. Johann Overath ist seit 2006 Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Glasindustrie. Er geht diesen Sommer in den Ruhestand. Zuvor war der promovierte Chemiker von 1992 bis 2000 bei der Mannesmann AG als technisch-wissenschaftlicher Fachreferent in der Hauptabteilung Umweltschutz und Energie tätig, es folgten zwei Jahre bei der HEW Contract GmbH als Projektleiter Vertrieb in Düsseldorf. 
Der Bundesverband Glasindustrie vertritt die Mitgliedsunternehmen aus der Glasindustrie nach außen gegenüber Politik, Medien und Forschung sowie den Verbrauchern.

 

von Wolfram Marx, freier Journalist