• 09.12.2025
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Jahresrückblick: Die Verpackungsindustrie rutscht in die neue Realität

2025 war das Jahr, in dem die Verpackungsindustrie schmerzhaft gespürt hat, dass ihre Probleme nicht mehr zyklisch, sondern strukturell sind: Kostendruck, Klimaziele, eine Insolvenzwelle im Mittelstand – und auf der Abnehmerseite eine Fusionswelle, die die Verhandlungsmacht weiter verschiebt.
Verschiedene lebensmittelverpackungen auf einem küchentisch mit dem schriftzug "Jahresrückblick 2025"/
2025 erlebt die Verpackungsindustrie einen tiefgreifenden Strukturwandel: Fusionen, Insolvenzen und strenge Klimavorgaben verschieben Machtverhältnisse und Geschäftsmodelle.

Die Insolvenzen 2025 sind kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer „stillen Krise der Verpackungswelt“: Große Lebensmittel- und Konsumgüterkonzerne bündeln durch Fusionen ihre Einkaufsvolumina, während kleine und mittlere Verpackungsunternehmen zwischen Energie-, Rohstoff- und Personalkosten sowie immer schärferen Umweltvorgaben zerrieben werden.

Casimir Kast in Gernsbach schaffte es exemplarisch für Mittelständler dieser Größenordnung sogar auf das Titelblatt der „BILD“: Der 475 Jahre alte Verpackungshersteller, der 2022 massiv in Technik und Energieversorgung investiert hatte, meldete im September Insolvenz an. Trotz Modernisierung reichen schwache Konjunktur, Nachfragerückgang und hohe Kosten, um das Geschäftsmodell ins Wanken zu bringen. Dass Fachmedien wie die „Neue Verpackung“ inzwischen von einem „gut laufenden“ Investorenprozess mit realistischen Sanierungschancen berichten, macht Kast zum Symbol für eine Branche, die zwischen Strukturproblem und Comeback-Hoffnung pendelt.

 

Umweltziele: Klimapolitik als Investitionszwang

Mit der Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) hat die EU 2025 den regulatorischen Rahmen für Verpackungen einmal komplett neu vermessen: Ziel sind weniger Verpackungsabfall, höhere Rezyklatanteile, strenge Recyclingfähigkeit und ambitionierte Mehrwegquoten in fast allen Segmenten. Die Verordnung trat im Februar 2025 formal in Kraft, die wesentlichen Pflichten greifen nach einer Übergangsfrist ab 2026 – doch die eigentliche Arbeit hätte 2025 stattfinden müssen: Unternehmen müssen ihr gesamtes Portfolio prüfen und mittelfristig auf die PPWR umstellen.

Deutschland zieht mit einem neuen Verpackungsdurchführungsgesetz (VerpackDG) nach, dessen Referentenentwurf das Bundesumweltministerium seit November vorlegt: Das Gesetz soll das bisherige VerpackG ablösen und die europäischen Anforderungen mit höheren Recyclingquoten, ausgeweiteten Systembeteiligungspflichten und verschärfter Herstellerverantwortung verankern. Industrie- und Handelskammern sowie Beratungshäuser sprechen mittlerweile offen von erheblichen Investitionen in Materialumstellung, Sortier- und Recyclingfähigkeit sowie in Dokumentations- und Reportingstrukturen – gerade für KMU entsteht ein Spagat aus Klimazielen, Compliance-Kosten und Margendruck. „Eigentlich müssten wir eine neue Abteilung aufmachen, das können wir uns gar nicht leisten“, betonte Caroline Knapp, geschäftsführende Gesellschafterin des gleichnamigen Kartonveredlers, vor wenigen Wochen auf der P360°-Tagung in Hamburg.

 

Fusionswelle beim Kunden: Weniger Abnehmer, mehr Macht

Auf der Abnehmerseite sortiert sich die Lebensmittelbranche neu – mit unmittelbaren Folgen für die Verpackungsindustrie. Analysten wie Hochschullehrer Carsten Kortum von der Dualen Hochschule Heilbronn sprechen von einem „Fusionsfieber“ in der Lebensmittelindustrie im Jahr 2025: Konzerne wachsen zusammen, die Produktvielfalt bleibt im Regal sichtbar, aber die Zahl der Einkaufsorganisationen schrumpft. Für die Verpackungsindustrie bedeutet das: weniger, dafür deutlich mächtigere Kunden, die Standards, Preise und PPWR-Umsetzungstempo diktieren – und Aufträge, ohne mit der Wimper zu zucken, global umschichten können.

Eine Verpackungsberaterin, die nicht genannt werden will, bestätigt den Trend: „Große Markenartikelhersteller sind komplett auf Einsparung eingestellt. Dort findet Stellenabbau statt, der vor allem Know-how-Träger trifft und Verpackungsinnovationen schwächt.“ Profiteur ist der Co-Packing-Bereich, der weiterhin wächst. „Die Brandowner reduzieren derzeit die eigene Produktion und übertragen mehr Arbeit zu Co-Packern“, bestätigt Ton Knipscheer von der Co-Packers Association. Der Markt für Kontraktpacker wächst, weil Markenartikler sich auf den Markenaufbau konzentrieren und alles darunter dem Spardiktat unterliegt.

Zu den markantesten Deals zählt die Übernahme der operativen Mestemacher-Unternehmen durch die RUF-Gruppe beziehungsweise ihre Gesellschafter: Aus einem Backzutaten-Spezialisten und einem Vollkornbrot-Pionier wird ein erweitertes Backwaren- und Backmischungs-Cluster mit gebündelter Einkaufs- und Vertriebsmacht im LEH und Foodservice. Für Packmittelhersteller heißt das: mehr Volumen in weniger Händen, standardisierte Packformate für Brot, Toast und Backmischungen – und härtere Konditionen, wenn es um Preiserhöhungen oder Investitionsumlagen für nachhaltigere Materialien geht.

Noch größer ist die Dimension bei Snacks und Frühstück: Mit der genehmigten Übernahme von Kellanova durch Mars holt sich der Konzern Marken wie Pringles und Kellogg’s ins Haus und spannt damit einen Bogen von Schokoriegeln über Chips bis zu Cerealien. Medien und Verbraucherportale diskutieren, ob die Marktmacht zu Preisaufschlägen und engeren Sortimentsvorgaben führt; für die Verpackungsindustrie ist auch hier absehbar, dass Metall-, Karton- und Kunststoffverpackungen für Snacks, Cerealien und Riegel in noch größeren globalen Volumina gebündelt und stärker auf standardisierte, PPWR-konforme Plattformen getrimmt werden.

Die Monopolkommission hat Ende November ihr Gutachten vorgestellt. Ihr Vorsitzender Tomaso Duso brachte es in der Pressekonferenz so auf den Punkt: „Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist extrem konzentriert. Vier große Ketten – Edeka, Rewe, Lidl, Aldi – dominieren fast vollständig“, sagte er. Wettbewerb sei formal vorhanden, praktisch aber dünn ausgeprägt. Die Händler seien längst keine Händler mehr, sondern „Lebensmittelkonzerne“. Sie betreiben eigene Fleischwerke, pushen Eigenmarken auf teils über 50 Prozent Marktanteil und rücken durch vertikale Integration immer weiter an die Landwirtschaft heran. Was für Landwirte stimmt, trifft auch auf die Verpackungsindustrie zu. Keine guten Aussichten – besonders für kleine Mittelständler.

 

Gibt es noch Wachstum?

Trotz Krise, Insolvenzen und Kostendruck gibt es in der Wertschöpfungskette Segmente, die wachsen – vor allem dort, wo Konsum und Bevölkerung zulegen oder wo regulatorischer Druck Investitionen erzwingt. Analysen zur Kreislaufwirtschaft verweisen darauf, dass hochwertige Recycling- und Sortiertechnologien für Kunststoffe und Papier mittel- bis langfristig stark gefragt sind, auch wenn einzelne Pioniere 2025 ins Straucheln geraten. Parallel gewinnen Märkte in Schwellenländern für den Maschinen- und Anlagenbau an Bedeutung; die Ausfuhren deutscher Maschinen in Regionen wie Naher/Mittlerer Osten, Südostasien, Lateinamerika oder Afrika legen 2025 deutlich zu – was auch für Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen gilt.

Wachstumstreiber sind vor allem drei Trends: steigender Außer-Haus-Konsum und Convenience in urbanen Räumen, der Aufstieg lokaler Marken in Schwellenländern und der massive Modernisierungsbedarf in Sachen Energieeffizienz und Wasserverbrauch in der Getränke- und Lebensmittelproduktion.

 

VDMA: Maschinenbau unter Druck – Verpackung als Insel?

Auch dem Maschinenbau blies 2025 Gegenwind ins Gesicht: Der VDMA rechnet für das Jahr nach eigenen Angaben mit einem Produktionsrückgang von rund 5 Prozent, verweist auf internationale Handelskonflikte, hohe Energiepreise, Bürokratie und Investitionszurückhaltung. Auch die Robotik- und Automationsbranche im Verband erwartet 2025 ein zweistelliges Umsatzminus; die Nachfrage nach automatisierten Lösungen stockt, obwohl gerade sie für PPWR-konforme, effiziente Verpackungsprozesse entscheidend wären.

Gleichzeitig zeigen VDMA-nahe Auswertungen zum Fachbereich Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen, dass diese Teilbranche robuster ist als der Durchschnitt: Rund die Hälfte des Produktionswertes entfällt auf Verpackungsmaschinen, und hier stützen stabile beziehungsweise wachsende Exportmärkte das Geschäft. Die Herausforderung liegt weniger in der reinen Nachfrage als in den Rahmenbedingungen: geopolitische Risiken, schwächelnde EU- und China-Märkte, hohe Bürokratiekosten und Unsicherheit bei Handelsabkommen drücken auf Investitionsentscheidungen der Kunden – und damit auf die Planbarkeit in den Unternehmen.

 

Fazit: Branche zwischen Schrumpfkur und Investitionszwang

Die Verpackungsindustrie geht 2025 aus einem Jahr hervor, in dem gleich mehrere tektonische Platten in Bewegung geraten sind: eine Fusionswelle auf Kundenseite, eine Insolvenzwelle im Mittelstand, eine Klimapolitik, die Verpackung zum Politikum macht – und ein Maschinenbau, der zwischen globalen Chancen und heimischen Risiken seine Linie sucht. Wer überleben will, muss zugleich investieren und konsolidieren: in recyclingfähige Materialien und effizientere Linien, in Internationalisierung und in die Fähigkeit, mit wenigen, dafür übermächtigen Kunden verhandeln zu können.

2025 war das Jahr, in dem die Verpackungsindustrie endgültig begreifen musste, dass sie Schauplatz eines Machtkampfs um Rohstoffe, Klima und Margen ist. Die eigentliche Entscheidung, wer künftig die Bedingungen diktiert, fällt längst bei den globalen Marken- und Handelskonzernen.


Autor: Matthias Mahr, Mitglied der Chefredaktion Lebensmittel Praxis