Nachhaltigkeitszertifizierungen: Was gilt es zu beachten?
27.10.2024 Sustainability Interview

Nachhaltigkeitszertifizierungen: Was gilt es zu beachten?

Umweltzertifikate sollen Orientierung bei der Nachhaltigkeit von Verpackungen bieten. Doch welche Siegel erfüllen tatsächlich die strengen Anforderungen an Umwelt- und Sozialstandards, und wo gibt es Lücken?

Hand hält eine grüne Weltkugel vor Bäumen Unternehmen müssen bei der Wahl eines Zertifikats ihre spezifischen Kundenanforderungen und Lieferkettenrisiken berücksichtigen.

Nachhaltigkeitszertifikate sind ein zunehmend wichtiges, freiwilliges Instrument, um Verpackungsunternehmen bei der Einhaltung ökologischer und sozialer Standards zu unterstützen. Dabei gibt es laut Jenny Walther-Thoß, Senior Consultant für Nachhaltigkeit bei B+P Consultants, nicht „das eine“ Zertifikat, sondern eine Vielzahl von Siegeln und Standards, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit fokussieren. Welche davon sind für die Verpackungsbranche besonders relevant?

 

Der Blaue Engel: Pionier der Umweltzertifizierungen

Der Blaue Engel ist eines der ältesten und bekanntesten Nachhaltigkeitssiegel im Bereich papierbasierter Verpackungen. „Dieses Siegel zeichnet sich durch seinen klaren Fokus auf den Umweltschutz aus und geht in vielen Bereichen über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus“, erläutert Jenny Walther-Thoß. Es deckt verschiedene Nachhaltigkeitsaspekte ab, wie etwa die Förderung nachhaltiger Forstwirtschaft (FSC und PFC) und die Verwendung von Altpapierfasern, die Verwendung umweltfreundlicher Produktionsverfahren sowie die Vermeidung von kritischen Chemikalien. „Besonders in Deutschland hat sich der Blaue Engel etabliert, da hier Nachhaltigkeit in der Vergangenheit überwiegend aus der Perspektive des Umweltschutzes betrachtet wurde“, so die Beraterin. Der Blaue Engel kann auch benutzt werden um den Einsatz von Rezyklaten im Kunststoffbereich zu kommunizieren, fordert aber einen sehr hohen Mindestanteil.

 

RecyClass und ISCC+: Standards im Rezyklatbereich

Hersteller und Inverkehrbringer von Kunststoffverpackungen, die ihren Rezyklatanteil hervorheben wollen, können sich – neben vielen anderen Siegeln – auch zwischen RecyClass und ISCC+ entscheiden.

RecyClass wurde von Recycling Europe entwickelt und bietet drei mögliche Zertifizierungsmodelle an A) Recycability der Verpackung, B) die Recyclinganlagen und C) den Rezyklatanteil in einem Produkt. Es konzentriert sich vor allem auf die Prozessqualität in den Anlagen, sowie die Transparenz und Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette beim Einsatz von Rezyklaten und verfügt außerhalb Europas zusätzlich über ein Modul, das auch soziale Aspekte wie Arbeitsbedingungen abdeckt. RecyClass stuft darüber hinaus die Recyclingfähigkeit der Verpackung ein. 

ISCC+ ist ein sehr umfassendes Siegel, das ursprünglich aus der Bioenergiezertifizierung hervorgegangen ist. Es deckt seit seiner Gründung nicht nur Umweltaspekte, sondern auch soziale und Transparenzkriterien ab. Da ISCC+ bereits in der Lebensmittel- und Chemieindustrie bekannt war, konnte es sich zügig als umfassender Standard für den Nachweis des Einsatzes von Rezyklaten und/oder biobasierten Polymeren sowie neuartigen erneuerbaren Rohstoffen auch in der Verpackungsbranche etablieren.

 

Nischensiegel für kompostierbare Kunststoffe

Neben den großen Zertifikaten im Bereich der faserbasierten Verpackungen, der Recyclingfähigkeit und der Rezyklate gibt es eine Reihe von Nischensiegeln, insbesondere im Bereich der kompostierbaren oder biologisch abbaubaren Kunststoffe. Hier gibt es allerdings noch erhebliche regulatorische Lücken, bemängelt Jenny Walther-Thoß. Häufig erfüllen diese Kunststoffe nicht die Erwartungen der Konsumenten, da sie in der Natur nicht vollständig abgebaut werden und in vielen Fällen spezielle industrielle Kompostierbedingungen erforderlich sind. Auch bleibt oft Mikroplastik zurück, was die Umwelt weiterhin belastet.

„Mit der neuen „Green Claim Verordnung“ werden solche Siegel, die nicht auf soliden wissenschaftlichen und regulatorischen Grundlagen basieren, unter Druck geraten“, meint Jenny Walther-Thoß. „Es ist sehr gut, dass die PWWR hier einen Riegel vorschiebt und einen europäischen Standard fordert, wie Kompostierbarkeit und Bioabbaubarkeit definiert sind. Hier herrscht noch ein richtiger Wildwuchs von nationalen Siegeln.“ Sie erwartet, dass nur einige wenige dieser Siegel in Zukunft bestehen werden.

 

EcoVadis und ZNU: B2B-Standards

Neben den herkömmlichen Nachhaltigkeitssiegeln gibt es auch Bewertungsstandards wie EcoVadis und ZNU. Diese Systeme, die vor allem in B2B-Bereichen genutzt werden, basieren auf Fragebögen, die Unternehmen ausfüllen.

  • EcoVadis bewertet Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales, Lieferkette und ethisches Geschäftsgebaren. Es gibt jedoch keine unabhängigen Audits oder Zertifizierungen. 
  • ZNU verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie EcoVadis und setzt auf eine ganzheitliche Betrachtung der Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens. Der ZNU Standard kann durch eine Third-Party-Zertifizierung dann im Rahmen von Audits zertifiziert werden. 

 

Standards erleichtern die Dokumentation

„Für Verpackungsunternehmen ist die Wahl des richtigen Zertifikats stark von den Anforderungen ihrer Kunden abhängig“, sagt Jenny Walther-Thoß. Einige Kunden fordern bestimmte Risikomanagement-Tools wie Integrity Next oder Achilles, die eine zusätzliche Arbeitslast für die Unternehmen bedeuten können, insbesondere wenn diese Anforderungen neben ähnlichen Standards wie EcoVadis gestellt werden. Die Expertin empfiehlt Unternehmen in sensiblen Lieferketten wie Pharma oder Lebensmittel mindestens ein EcoVadis Silber-Zertifikat sowie die Implementierung von ISO 50001 (Energiemanagement), ISO 14001 (Umweltmanagement) und ISO 45001 (Arbeitssicherheit). Letztere werden jährlich überprüft und bieten eine solide Grundlage, um Nachhaltigkeitsbemühungen zu dokumentieren. Für Unternehmen, die in risikobehafteten Regionen (Umwelt und Soziale Bedingungen/Arbeitsbedingungen) tätig sind, sind diese Zertifikate besonders hilfreich, um ihren Verpflichtungen im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu dokumentieren.

Die Landschaft der Nachhaltigkeitszertifizierungen ist komplex. Unternehmen sollten daher sorgfältig abwägen, welche Zertifikate ihre Kundenanforderungen am besten erfüllen und gleichzeitig glaubwürdige und überprüfbare Nachhaltigkeitsnachweise bieten. „Und nicht jeder Kundenwunsch ist sinnvoll – manchmal sollte man auch darauf hinweisen, was man schon alles hat und nicht über jedes Stöckchen springen“, rät Jenny Walther-Thoß.

Sehen Sie sich auch den Vortrag von Jenny Wlalther-Thoß auf der FACHPACK an: 

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