Einhellig gegen Zwang zu Mehrweg
Auf der Zielgeraden zum neuen Verpackungsrecht seien den Trilog-Organen der EU unbeabsichtigte Fehler unterlaufen, befinden fast zwei Dutzend Organisationen der Industrie. Die Allianz plädiert für eine Korrektur des Versehens.
21 Verbände der deutschen Wirtschaft drängen auf Änderungen in der EU-Verpackungsverordnung (PPWR), die das EU-Parlament am 24. April genehmigt hat und die voraussichtlich im Sommer 2026 in Kraft tritt. In einem schriftlichen Appell an den Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schmidt, stemmen sich unter anderem der BDI, die BVE, die Fachverbände für Weinbau, Weinkellerei und Milchindustrie sowie viele Organisationen der Verpackungsindustrie gegen eine umfassende Mehrwegpflicht für industrielle und gewerbliche Verpackungen.
Die vom EU-Gesetzgeber in die PPWR verankerten obligatorischen Quoten betreffen Hüllen und Behälter, die für den Warentransport zwischen Unternehmensstandorten im Binnenbereich von EU-Mitgliedsländern wie auch den logistischen Austausch zwischen Standorten in verschiedenen Ländern bestimmt sind.
Ab 2030 sollen innerstaatlich nur noch mehrfach nutzbare Lösungen zulässig sein, sprich: Die traditionell von nahezu allen Wirtschaftssegmenten genutzten Einweglösungen werden in fünfeinhalb Jahren de facto komplett untersagt. Derlei pauschale Verbote „gefährden sämtliche Lieferketten in Europa“, warnt die Wirtschaftsallianz in ihrem Brandbrief. Die Verbände verweisen auf eine Marktanalyse, der zufolge mehrfach nutzbare Transportverpackungen entweder aufgrund technischer Hürden gar nicht verfügbar seien oder nur in „weder ökologisch noch ökonomisch sinnvollen“ Versionen.
Verbände kritisieren Fehler im Gesetzgebungsverfahren
Den Branchenorganisationen zufolge ist die Eskalation der Quoten nicht etwa dem Regulierungsdrang der EU, sondern einem – so wörtlich – „Fehler im Gesetzgebungsverfahren“ geschuldet. So seien die Änderungen – mit dem Ziel, die Regelungen verständlicher zu formulieren – im Februar 2024 und damit kurz vor dem Ende der Trilogverhandlungen erfolgt. Beim Zusammenfassen sämtlicher Mehrwegquoten für Industrie-, Gewerbe- und Gartenbauverpackungen seien „vermutlich unbeabsichtigt“ nicht nur die Quoten selbst, sondern auch der Anwendungsbereich gegenüber dem Vorschlag der EU-Kommission „drastisch ausgeweitet“ worden, steht im Brief zu lesen.
Die Wirtschaft ersucht den Kanzleramtschef, sich bei der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten für eine Behebung des monierten „Fehlers“ in der sogenannten Corrigendum-Fassung der PPWR einzusetzen, mit dem Ziel, „die notwendige Rechts- und Planungssicherheit für alle Lieferketten“ wiederherzustellen. Konkret sollten dabei die in Artikel 29 aufgeführten Mehrwegvorgaben für industrielle sowie gartenbauliche Transport- und Verkaufsverpackungen nicht etwa nur abgesenkt, sondern bis auf weiteres komplett aus der Verordnung gestrichen werden. Die EU-Kommission, so der Vorschlag der Beschwerdeführer, solle dann einen neuen Vorschlag machen, zuvor aber auf Basis einer wissenschaftlichen Analyse und Folgenabschätzung prüfen, ob Mehrwegalternativen „überhaupt vorhanden und – wenn ja – ob diese nachhaltiger sind“.
Gesetzliche Regelungen gehen an der Praxis vorbei
Als plakative Beispiele für negative Folgen des aktuellen Artikels 29 führt der Appell an die Politik Palettenumwicklungen (Wrappings) und Umreifungsbänder (Straps) an. Diese „unverzichtbaren“ aus Kunststoff gefertigten Sicherungen für fast alle auf Paletten bewegten Waren müssten ab 2030 ausnahmslos mehrfach und „zum selben Zweck“ verwendet werden können. Der Verbändeallianz zufolge ist dies „technisch gar nicht möglich“. Daher würden beide Palettensicherungen recycelt. Die enthaltenen Materialien seien zudem zum Erfüllen aktueller Recyclingziele und künftiger Rezyklat-Einsatzquoten notwendig. Außerdem sei ohne solchen Einweglösungen die Transportsicherheit im EU-Raum nicht mehr gewährleistet. Das Entwickeln innovativer, neuartiger Mehrwegummantelungen wird in dem ans Kanzleramt adressierten Schreiben nicht thematisiert.
Aus ähnlichen Gründen wie den aufgeführten sind aus Sicht der Wirtschaft auch 100-Prozent-Mehrwegquoten für den Einsatz von Kanistern, Kübeln sowie Schalen nicht möglich und/oder nicht nachhaltig. Bei diesen Formaten werde das Problem durch die erst im vorläufigen Trilogkompromiss hinzugekommene Ausweitung der Mehrwegquoten auf „Verkaufsverpackungen für den Transport von Produkten“ noch verschärft. Der Grund sei, dass Verkaufsverpackungen, anders als jene für den Transport, direkten Kontakt zum Füllgut hätten und daher, was mehrfache Nutzung angeht, anfälliger für Kontaminationen durch den vorherigen Inhalt seien.
Vorschriften widersprechen Binnenmarkt-Prinzipien
Darüber hinaus monieren die Verbände, dass der aktuelle Artikel 29 im Widerspruch zu Kernprinzipien des EU-Binnenmarkts stehe. So betreffe die 2030 fällige Steigerung der Mehrwegquoten auf 100 Prozent nur den Warenverkehr innerhalb einzelner Länder. Weil der internationale Handel davon ausgenommen sei, würden Unternehmen in kleineren Ländern mit überdurchschnittlich vielen grenzüberschreitenden Transporten bevorteilt gegenüber Unternehmen in Flächenstaaten.
Weiterhin tadelt die Allianz, dass die EU-Mitgliedsstaaten von den Unternehmen zu meldende Verpackungsmengen veröffentlichen können. Dies ermögliche Rückschlüsse auf die Geschäftstätigkeit, so die Kritik. Abschließend bezweifeln die Antragsteller, dass der EU-Gesetzgeber überhaupt die Befugnis hat, bestimmte Einwegverpackungen zu verbieten. Sie verweisen darauf, dass laut der Rechtsprechung des EuGH derlei Untersagungen nur zur Beseitigung von Handelshemmnissen oder Verzerrungen des Wettbewerbs zulässig seien.