Mehrwegangebotspflicht gescheitert? Pragmatische Lösungen sind gefragt
08.06.2024 New Paths Sustainability Artikel

Mehrwegangebotspflicht gescheitert? Pragmatische Lösungen sind gefragt

Die Bilanz für die Mehrwegangebotspflicht fällt ernüchternd aus: Ihr Ziel, den Einsatz von Einwegverpackungen in der Gastronomie zu verringern, hat sie klar verfehlt. Die Projektallianz „mehrweg.einfach.machen“ glaubt trotzdem, dass Mehrweg im Außer-Haus-Verzehr zum Standard werden könnte – mithilfe von verhaltenspsychologischen Anreizen.

In einem Take-Away-Laden erhält ein Kunde sein Essen in Mehrwegverpackung. Konsumenten stehen Mehrwegverpackungen laut ProjectTogether grundsätzlich positiv gegenüber stehen.

Alle Anbieter von Speisen und Getränken für den Außer-Haus-Verzehr sind seit Januar 2023 dazu verpflichtet, eine Alternative zu Einwegbehältnissen anzubieten. Ziel der Mehrwegangebotspflicht war es, den Mehrweggebrauch signifikant zu steigern. Doch nach über einem Jahr zeigt sich, dass dieses Anliegen verfehlt wurde. Die anfänglich positiven Effekte sind verpufft. Die Mehrwegquote stagniert einer von der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung durchgeführten Studie zufolge bei lediglich 1,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Verbrauch von Einwegbehältnissen sogar an, von 13,6 auf 14,6 Milliarden.

Mehrweg kann trotzdem noch zum Standard im Außer-Haus-Verzehr werden, glaubt die vom WWF Deutschland, ProjectTogether und dem Mehrwegverband Deutschland initiierte Umsetzungsallianz „mehrweg.einfach.machen“. Um möglichst große Wirkung entfalten zu können, verfolgt die Initiative einen pragmatischen, auf verhaltenspsychologischen Erkenntnissen basierenden Ansatz, der die Gastronomen und Kunden mit ins Boot holen soll.

 
Zwei Personen laufen mit Mehrwegbechern an einen Bäckerei vorbei. ProjectTogether will dazu beitragen, dass Mehrweg doch noch zum Standard wird.

„Die Mehrwegangebotspflicht sollte eigentlich die Nutzung von Mehrwegverpackungen fördern, hat jedoch mehrere Schwächen“, beschreibt Lukas Schuck von ProjectTogether die Ausgangslage, und ergänzt: „Die Vorschriften sind zu lax und enthalten viele Ausnahmen für verschiedene Unternehmen und Materialien, was Schlupflöcher schafft.“ Dabei würden die Konsumenten Mehrwegverpackungen laut ProjectTogether grundsätzlich positiv gegenüber stehen: 90 Prozent möchten diese nutzen, aber nur 18 Prozent fragen aktiv danach. Dieses Potenzial will das Bündnis ausschöpfen und hat zunächst untersucht, was in der Praxis funktioniert.

Im Herbst 2023 startete ProjectTogether deshalb ein umfangreiches Experiment: Acht Systemgastronomien – darunter Burger King, Haferkater, IKEAund Backwerk – in 800 Filialen deutschlandweit testeten verschiedene Ansätze. Über 2,2 Millionen Datenpunkte wurden gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet. 

Das Experiment hat laut Schuck gezeigt, dass die Initiative von Gastronomiebetrieben entscheidend ist. „Kreative und ambitionierte Maßnahmen zur Förderung von Mehrweg können die Mehrwegquoten deutlich erhöhen und werden von Kunden positiv aufgenommen“, meint Schuck. Kunden würden sich nicht bevormundet fühlen, sondern hätten sich überwiegend positiv in Interviews und auf Social Media über die Maßnahmen geäußert, die im Experiment als sogenannte Nudges konkretisiert wurden.
Am Tresen gibt die Angestellt dem Kunden ein Heißgetränk im Mehrwegbecher. Subtile Anreize helfen bei der Entscheidung für Mehrweg.

Positive Anreize im Mittelpunkt

Das Nudging hat sich in der Testphase als erfolgreiches Instrument innerhalb einer umfassenden Mehrweg-Strategie erwiesen. Dabei handelt es sich um ein Konzept aus der Verhaltensforschung, das darauf abzielt, Menschen durch subtile Anreize zu bestimmten Verhaltensweisen zu motivieren. Ein bekanntes Beispiel ist, gesündere Optionen auf Augenhöhe in Regalen zu platzieren, um deren Auswahl zu fördern. Dieses Prinzip haben die Projektteilnehmer nun auf die Förderung von Mehrwegverpackungen übertragen.

Zur Steigerung der Mehrwegquote wurden verschiedene Nudges eingesetzt, die entweder auf die Kunden oder auf die Mitarbeitenden abzielen. Kundenseitige Nudges beinhalten Anreize wie die vereinfachte Rückgabemöglichkeiten ohne Anstehen. Aber auch niedrigere Preise auf Speisen in Mehrwegverpackungen gehören in diese Kategorie. 

Diese Maßnahmen sollen die Kunden direkt dazu motivieren, Mehrwegverpackungen zu verwenden. Mitarbeiterorientierte Nudges nutzten Ansätze wie Gamification, um das Engagement der Mitarbeitenden zu erhöhen. Ein Beispiel ist die Mitarbeitenden-Challenge, bei der Filialen von Burger King in einem Wettbewerb darum kämpften, wer die höchste Mehrwegquote erzielt. Dies führte zu einer nachweisbaren Steigerung der Mehrwegquote um bis zu 155 Prozent in den teilnehmenden Filialen.

Als besonders wirkungsvoll erwiesen sich zudem technische Standards. In einer Case Study bei IKEA wurden beispielsweise Mehrwegverpackungen an den Bestellterminals als bevorzugter Standard angeboten. Einwegbehälter waren nur auf Nachfrage an der Theke verfügbar. Das Ergebnis: Die Mehrwegquote in den teilnehmenden Filialen stieg von durchschnittlich zwei auf beeindruckende 32 Prozent, in einzelnen Filialen sogar auf bis zu 80 Prozent. 

Zusätzlich zu diesen spezifischen Maßnahmen gibt es auch kommunikative Standards, die sowohl vor als auch hinter der Theke wirken. Beispielsweise kann das Personal geschult werden, um Kunden aktiv anzubieten, ihre Getränke in Mehrwegbechern zu servieren. Solche Schulungen helfen den Mitarbeitenden, die Vorteile von Mehrweg zu verstehen und diese den Kunden überzeugend zu vermitteln.

Die Erkenntnisse aus den Experimenten hat ProjectTogether nun in einem Playbook festgehalten. Der Leitfaden enthält praxisorientierte Beispiele, Erfahrungsberichte und Schritt-für-Schritt-Anleitungen enthält, um andere Gastronomen zu motivieren und zu unterstützen. Lukas Schuck betont: „Damit die Mehrwegangebotspflicht endlich wirkt, braucht es einen gemeinsamen Kraftakt. Die Gastronomiebetriebe spielen dabei eine Schlüsselrolle. Mit unserem Nudging-Playbook wollen wir Betriebe in ganz Deutschland inspirieren und motivieren, sich der Mehrwegwende anzuschließen.”