• 18.01.2024
  • Artikel

Der Verbraucher stimmt mit den Füßen ab

Es war eine spannende Expertenrunde, die sich im Unimog-Museum in Gaggenau traf. Verpackungsfragen waren noch nie einfach, aber inzwischen sind sie äußerst komplex und auch für Insider kaum in Gänze zu verstehen. Lebensmittel Praxis-Redakteur Matthias Mahr diskutierte mit Branchenvertretern aus Handel, Marken- sowie Verpackungsindustrie und Lohnherstellung über die Lage am Verpackungsmarkt.

Sonja Bähr (Tilisco), Ulrike Jakobi (Edeka Jakobi), Kai-Jörg Schulz (Innosan) und Matthias Volkmann (Knapp; v. l. n. r.) diskutierten das Für und Wider der Regulierungen im Verpackungsmarkt.
Es herrschte Einigkeit in der Runde: Die Wahl der richtigen Verpackung ist ein komplexes Unterfangen. Sonja Bähr (Tilisco), Ulrike Jakobi (Edeka Jakobi), Kai-Jörg Schulz (Innosan) und Matthias Volkmann (Knapp; v. l. n. r.) diskutierten das Für und Wider der Regulierungen im Verpackungsmarkt.

Mit Ulrike Jakobi wurde der Blick auf Verpackungsentscheidungen im Handel gelenkt. Die selbstständige Edekanerin aus dem hessischen Bensheim sagte: „Wir haben im vergangenen Jahr eine Bäckerei mit angeschlossenem Gastronomiebereich eröffnet. Wir hatten uns im Vorfeld ausgiebig mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, da es uns äußerst wichtig ist, unseren Kunden alternative und nachhaltige Verpackungsmaterialien anbieten zu können. Unsere Wahl fiel auf Bäckertüten aus Graspapier. Als wir den Preis haben, haben wir gestaunt. Trotzdem wollten wir das Thema unbedingt umsetzen“. Was sich die Bensheimer von dieser Verpackungswahl erhofft hatten, ist letztlich nicht eingetreten: Der Kunde schätzte die Entscheidung für eine nachhaltige Tüte aus Graspapier nicht wert. „Fragen wie, ob wir den Tieren das Futter wegnehmen würden, haben uns sehr überrascht“, merkte Jakobi an. Auch bei den To-go-Bechern sind die Bensheimer vorbildlich und hoch motiviert vorausgegangen und haben sich einem recyclingfähigen Mehrwegsystem angeschlossen. „Ich bedauere sagen zu müssen, dass ein Großteil der Kunden kein Interesse dafür zeigt“, betonte sie. Nur ein kleiner Teil kauft regelmäßig „nachhaltig“ und legt großen Wert darauf. „Auch an den Bedientheken haben wir die Möglichkeit, etwa Frischkäse in umweltbewussten Becher zu verpacken. Aber es sind immer dieselben Kunden, die danach fragen“, bilanzierte die Kauffrau nüchtern. Mit der Coronakrise und der Inflation seien Nachhaltigkeitsfragen völlig in den Hintergrund getreten.

Was ist überhaupt eine nachhaltige Verpackung? Jedes Material habe seine Berechtigung für einen gezielten Anwendungszweck, betonte die Verpackungsexpertin Sonja Bähr. Die Verpackungsingenieurin ist als Packaging Analyst beim Beratungsunternehmen Tilisco eine anerkannte Größe bei Markenartiklern und in der Verpackungsindustrie. Ihr Credo lautete: „Jedes Material muss die Anforderungen erfüllen, die das Produkt stellt. Die Verpackung wird nicht hergestellt, um recycelt zu werden oder besonders umweltfreundlich zu sein, sondern um das Produkt möglichst gut zu schützen.“ Ohne Verpackung gebe es keine schnelle, sichere und hygienische Versorgung mit Waren des Lebens. Um das sicherzustellen, brauche die Gesellschaft heute alle gängigen Verpackungsarten und -materialien. Die Nachhaltigkeit bei Verpackungen komme erst viel später in den Fokus. Das erscheine nur anders, weil das Thema aktuell alle besonders bewege. „Selbstverständlich ist Kunststoff eine nachhaltige Verpackung, selbstverständlich ist Papier eine nachhaltige Verpackung. Es kommt immer darauf an, was ich als nachhaltig definiere.“ Dieser Satz von Sonja Bähr sitzt. Sei eine höhere Recyclingfähigkeit gefragt, gebe eher es ein Problem mit Verbunden und beschichteten Papieren. Eine gute Recyclingfähigkeit ist auch hier zu erreichen, aber sicherlich schwieriger zu lösen als mit einem Monomaterial aus Kunststoff, das für das Produkt einsetzbar sei. „Das ist die Diskussion, auf die wir uns einlassen müssen und die sehr am Einzelfall ausgerichtet geklärt werden muss. Das ist ein komplexes Thema mit wenigen sehr einfachen Antworten“, hob sie hervor.


Thomas Pfaff, Geschäftsführer bei Seufert, dem Hersteller transparenter Verpackungen aus Kunststoff, brach zunächst eine Lanze für alle Verpackungsmaterialien, um aber auch unmissverständlich festzustellen: „Wenn Verpackungen heute am Markt als Alternativen angeboten werden, die erst noch beschichtet oder laminiert werden müssen, um ihren Zweck erfüllen zu können, dann frage ich mich schon, wie kann das als Ready for Recycling ausgewiesen oder als kreislauffähig angesehen werden. Viele dieser Verpackungen müssen schlussendlich einer thermischen Verwertung zugeführt werden und haben damit letztlich nicht ihren Zweck erfüllt.“

Eine Sonderstellung nahm Jörg Droese ein. Der Geschäftsführer des Lohnfertigers Variopack ist nicht nur bei Verpackungsfragen versiert, die Kernkompetenz seines Unternehmens liegt in der Herstellung und Abfüllung von Beutelverpackungen für Lebensmittel, Arzneimittel, Kosmetik und Haushaltshygiene. Droese weiß, was eine Verpackungsumstellung unter Umständen bedeutet. Sinkende Siegelqualitäten und geringere Taktzahlen verkraftet dieses auf Kostenminimierung ausgelegte Business nicht. In Nidda stehen 130 heißsiegelfähige Verpackungsanlagen. „Wir brauchen immer ein Siegelmedium, das zu 90 Prozent aus Polyethylen ist. Wir brauchen eine Barriere, weil die abzufüllenden Produkte immer hygroskopischer werden“, betont der Variopack-Geschäftsführer. Zwar seien Monofolien im Kommen, aber aktuell gelte es, die Produkte sicher, gut und langlebig zu verpacken. „Wenn wir an Verpackungen sparen, und die Produkte sind nur noch ein Jahr haltbar, wäre das fatal. Wenn Lebensmittel aus Haltbarkeitsgründen entsorgt werden müssen, ist der Nachhaltigkeitsaspekt hinfällig“, betonte er. 

„Wir stellen inzwischen viele Hauben aus Karton her, die zuvor aus Kunststoff waren. Wir hatten das schon mal in den 1990er-Jahren, als Kunststoff plötzlich verbannt wurde und wir umdenken mussten“, berichtet Matthias Volkmann, der bei Knapp den Faltschachtelverkauf leitet. Knapp ist führend in der Herstellung von Blisterkarten. Bislang wurde meist eine Kunststoffhaube auf den Karton aufgesiegelt. Das sei jetzt aus Nachhaltigkeitsgründen nicht mehr gewünscht. Statt das Produkt zu zeigen, werde es heute auf die Verpackung aufgedruckt und verliere dadurch Impulsstärke am POS.

Die Welt dreht sich nicht nur bei der Verpackungsfrage gefühlt immer schneller. Die „Unverpackt-Regalmeter“ bei Edeka Jakobi sind bereits Geschichte. Die Vielzahl der Mehrwegsysteme im Handel bleibt Selbstständigen ein Dorn im Auge. Die Kunden wollen angeblich nachhaltige Verpackungen, fragen sie aber nicht nach. Convenience ist da schon eher gewünscht und günstig ohnehin. Wenn es um Verpackung geht, sind leidvolle Erfahrungen nicht weit, denn die Verpackungsfrage ist leider zu oft dogmatisch geleitet.

 

Autor: Matthias Mahr, Redakteur Lebensmittel Praxis, ehemaliger Herausgeber Packaging360 und langjähriger Chefredakteur Neue Verpackung.