"Viele Menschen unterschätzen massiv die ökologischen Vorteile einer Verpackung"
12.05.2023 Insights Interview

"Viele Menschen unterschätzen massiv die ökologischen Vorteile einer Verpackung"

Im Interview mit FACHPACK360° fordert Kim Cheng, Geschäftsführerin des Branchenverbands Deutsches Verpackungsinstitut e.V., die Industrie auf, die Wichtigkeit der Verpackung stärker als bisher zu kommunizieren.

Kim Cheng ist Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts (Archivfoto). Kim Cheng ist Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts (Archivfoto).

Die meisten Menschen in Deutschland denken, der Umwelt-Fußabdruck einer Verpackung sei höher als der des verpackten Produkts. Das kam in der aktuellen Studie des dvi heraus. Wie erklären Sie sich das?

Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass viele Menschen den Fußabdruck von Verpackungen krass überschätzen, sondern vor allem auch, dass sie die ökologischen Vorteile von Verpackungen massiv unterschätzen. Denn wirklicher ökologischer Schaden entsteht vor allem dann, wenn das Lebensmittel Schaden nimmt oder verdirbt. Die Verpackung bei Lebensmitteln verursacht im Durchschnitt nur 3 Prozent der Klimaauswirkungen, das Produkt 97 Prozent.
Die Industrie hat es bis heute nicht geschafft, die Wichtigkeit von Verpackung so zu kommunizieren, dass diese den Verbraucherinnen und Verbrauchern entsprechend bewusst wird. Wir haben also ein Kommunikationsproblem. Viele Menschen nehmen die Verpackung als überflüssig wahr. Wir sehen die Branche in der Verantwortung, dieses falsche Bild zu ändern. Diese Aufgabe wird uns ohnehin niemand abnehmen.

Wie kann man solche Desinformationen verhindern? Was kann die Verpackungsbranche machen?

Wir müssen über die Aufgaben und Funktionen mehr aufklären. Wir müssen stärker und besser kommunizieren, dass die Verpackung der Pionier der Kreislaufwirtschaft ist, und wir müssen aufpassen, dass der Verpackung diese Botschaft nicht genommen wird. Seit 20 Jahren hat die Verpackungsindustrie Erfahrungen in der Kreislaufwirtschaft. Sie ist ambitioniert, geschlossene Kreisläufe zu schaffen, und ist da noch immer Vorreiter.
Um die ökologische Vorteilhaftigkeit von Verpackungen noch genauer als bisher bestimmen zu können, haben wir gemeinsam mit sieben weiteren Branchenverbänden eine großangelegte Studie zum Thema „Klimaschutzbeitrag von Verpackungen“ in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sollen Mitte Juni vorgestellt werden. 

Sind die Verbraucherinnen und Verbraucher auch aufgrund der Vielfalt der Verpackungsmaterialien verunsichert?

Eine gute Frage. Insgesamt beobachten wir einen Wettlauf der Verpackungsarten und -materialien. Die beliebte Frage nach der ökologisch besten Verpackung muss ich immer mit einem „Es kommt darauf an“ beantworten, denn es hängt vom Produkt, vom Material, der Kreislauffähigkeit, den Transportaufwänden und weiteren Faktoren ab. Die Verunsicherung ist vielleicht sogar zu gering, wo bestimmte Materialien pauschal bevorzugt und als ökologisch besser eingeschätzt werden. Auf der anderen Seite ist die Verunsicherung berechtigt, wenn sich bestimmte Verpackungen mit der Haptik und Optik eines anderen Materials „tarnen“. Wie auch immer: Selbst die zweit- oder drittbeste Verpackung ist immer noch ein ökologischer Gewinn, wenn sie das Produkt erfolgreich schützt.

Mehrweg oder Einweg? Welcher Weg ist der richtige Weg?

Ich glaube, dass kein Weg an Mehrweg vorbeiführt. 61 Prozent unterstützen laut unserer Umfrage die aktuellen Pläne der Politik für mehr Mehrwegverpackungen. Aber die Zustimmung ist an Bedingungen geknüpft. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen eine flexible Rückgabe unabhängig vom Ort des Kaufs, Preisstabilität und eine problemlose, schnelle Rückgabe. Man muss sich auch die Frage nach den Umläufen stellen und klären, ob die Verpackung dadurch teurer wird. Denn jede Preissteigerung zahlt am Ende der Verbraucher. 
Ökologisch ist Mehrweg nur dann die bessere Wahl, wenn die Aufwände für Transport, Reinigung, Desinfizierung und Neubefüllung tatsächlich geringer sind als beim Einsatz von Einwegverpackungen, die nach Gebrauch ins Recycling gehen. Wenn Mehrweg nur aus ideologischen Gründen durchgesetzt wird, hilft das am Ende weder den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch der Umwelt.

Wie sieht es in Deutschland beim Thema Recycling aus?

Das Recycling funktioniert in Deutschland, die Industrie hat ihre Quoten erfüllt. Derzeit können sich übrigens alle bei Lidl für die Kreislaufkampagne bedanken, die ja überall zu sehen ist. Lidl kommuniziert erfolgreich, dass es geschlossene Kreisläufe hat. Die Schwarz Gruppe hat rechtzeitig ein eigenes Rückgabesystem geschaffen und mit dem eigenen Entsorger Prezero kein Problem, an Recyclingmaterial zu kommen. Das können nicht alle von sich behaupten. Sie müssen noch mehr investieren, um geschlossene Kreislaufsysteme zu bekommen.

Warum üben Sie Kritik an der EU-Verpackungsverordnung?

Ein Hauptkritikpunkt ist, dass die EU „Recyclingfähigkeit“ nicht definiert hat. Die entscheidenden Festlegungen werden auf sogenannte „Delegated Acts“ verschoben, die zu einem unbestimmten Zeitpunkt durch nationale Entscheider auszuführen sind. Dadurch besteht abgesehen von der Frage, wann dies geschehe, die Gefahr einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Regelungen in Europa. Die pauschale Befürwortung von Mehrweg ist außerdem zu kurz gegriffen. Ich kenne zum Beispiel keinen, der Mehrwegfolien verwendet. Als Wirtschaftsverband befürworten wir generell keine Verbote in diesem Maße. Wir haben Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts in Europa ist gut, aber die Regelungen sollten so gestaltet sein, dass die Wettbewerbsfähigkeit nicht eingeschränkt wird.