„Eine Bratwurst ist viel klimaschädlicher als ihre Verpackung“
23.06.2023 Insights Interview

„Eine Bratwurst ist viel klimaschädlicher als ihre Verpackung“

Abfall ist in Deutschland kein Problem, solange er ordnungsgemäß entsorgt wird, sagt Rainer Bunge, Professor für Umwelt- und Verfahrenstechnik an der Ostschweizer Fachhochschule. Im Interview mit FACHPACK360° kritisiert der Umwelttechniker die politischen Ziele, Kunststoff als Verpackungsmaterial zu reduzieren.

Der renommierte Abfallexperte Professor Rainer Bunge sieht keinen Grund für eine Reduktion von Kunststoff bei Verpackungen. Vielmehr sollte der Konsum gedrosselt werden. Der renommierte Abfall-Experte Professor Rainer Bunge sieht keinen Grund, für eine Reduktion von Kunststoff bei Verpackungen. Vielmehr sollte der Konsum gedrosselt werden.

Herr Professor Bunge, immer mehr Unternehmen stellen ihre Verpackungen um und verzichten auf Kunststoff. Ist das nachhaltig?

Häufig nicht, denn Verpackungen haben den Zweck, das Produkt zu schützen. Manche können möglicherweise täglich frische Lebensmittel unverpackt auf dem Wochenmarkt einkaufen, aber die Mehrheit der Bevölkerung macht dies nicht. Daher benötigen wir Kunststoffverpackungen, die unter anderem Lebensmittel nicht verderben lassen. Andere Verpackungsmaterialien, wie zum Beispiel Glas, sind nicht unbedingt ökologischer als Kunststoff. Und die Entsorgung von Kunststoffverpackungen geschieht in Deutschland und in der Schweiz umweltgerecht durch Recycling und thermische Verwertung in Müllverbrennungsanlagen.

Und Papier? Mittlerweile werden auch sensible Lebensmittel und Tiefkühlkost in Papier verpackt. Bald soll es sogar eine Mozzarellaverpackung aus Papier geben.

Papier ist grundsätzlich ein umweltfreundliches Verpackungsmaterial. Aber Mozzarella in einer Papierverpackung – das ist doch albern. Entweder die Mozzarellaverpackung erfüllt ihren technischen Zweck, oder sie ist aus Papier – beides gleichzeitig geht nicht. Da Kunststoffverpackungen in Zentraleuropa entweder recycelt oder thermisch verwertet werden, sehe ich keinen Grund, um diese per se zu ersetzen oder sie überhaupt nur zu reduzieren. Aus Kunststoffabfällen wird in modernen Müllverbrennungsanlagen Strom und Fernwärme produziert. So sparen wir Öl und Gas ein.

Aber warum machen dies die Unternehmen?

Alle haben die Bilder von vermüllten Meeren und Stränden vor Augen. Die Verpackungsindustrie steht unter einem erheblichen medialen und politischen Druck. Der Papiertrend kommt aus dieser Not heraus. Technisch betrachtet gibt es keinen Grund dazu, Kunststoff durch Papier zu ersetzen. Aber ich habe nichts gegen alternative Verpackungsmaterialien und auch nichts gegen unverpackte Ware. Ich wehre mich nur gegen die pauschale Aussage, dass Kunststoffverpackungen grundsätzlich schädlich seien. Die Schweiz und Deutschland machen es richtig – dort gibt es eine geordnete Abfallentsorgung. Anders sieht es in einigen EU-Ländern aus. Die EU-Vorgaben, ob die Einführung von Mehrwegverpackungen oder die Kunststoffreduzierung, dienen vor allem dazu, den Ländern entgegen zu kommen, die über schlechte Entsorgungssysteme verfügen.

Die EU hat einige Kunststoffeinwegprodukte bereits verboten. Sie halten nichts davon?

Mitgliedsstaaten der EU sind in Sachen Abfallentsorgung völlig unterschiedlich aufgestellt, und daher sind auch völlig verschiedene Maßnahmen erforderlich. In nördlichen Ländern funktioniert die Kombination aus Recycling und Verbrennung, wie gesagt, nahezu perfekt. In vielen südlichen Staaten ist die Lage hingegen katastrophal. Dort gammelt der Müll in offenen Deponien vor sich hin. Allen Mitgliedsstaaten die gleichen Maßnahmen aufzuzwingen, ist etwa so sinnvoll, wie wenn ein Optiker allen seinen Kundinnen und Kunden die gleiche Brillenkorrektur verschreibt.

Aber falls Einheitlichkeit unbedingt durchgesetzt werden muss, dann sollte die EU auch den Mitgliedsländern mit problematischen Verwertungssystemen vorgeben, ihren Müll zu recyclen – zum Beispiel Glas, Alu, Papier – und den nicht recycelbaren Rest zu verbrennen. Die Recycling- und Verbrennungsraten müssen steigen, und die Deponierung muss aufhören. Das ist allerdings teuer und schwierig umsetzbar für diese Länder. Aber stattdessen Länder wie Deutschland, in denen der Abfall praktisch keine Probleme bereitet, immer mehr zu regulieren, ist wenig sinnvoll.

Besteht denn aus Ihrer Sicht tatsächlich kein Grund zu mehr Nachhaltigkeit?

Doch. Unbedingt. Es brennt lichterloh. Aber auf der Konsumseite. Wenn wir umweltbewusster konsumieren, sparen wir weit mehr Ressourcen und Energie als dies über die Verpackungsreduktion ginge. Wir müssen den gesamten ökologischen Fußabdruck betrachten, den wir im Alltag hinterlassen. Bratwurst zu essen und in den Urlaub zu fliegen, ist ökologisch sehr viel schlechter als auf die Gemüsefolie zu verzichten. Zum Vergleich: die Herstellung einer Bratwurst ist rund dreihundertmal umweltschädlicher als die Herstellung und Entsorgung ihrer Verpackung. Durch eine Abschaffung von Kunststoffverpackungen würden die verpackten Produkte zum Teil zerstört und somit zum Beispiel die Foodwaste-Problematik massiv verschärft werden. Das wäre ein ökologischer Bumerang.

Sie ecken mit Ihren Thesen an. Wie frei kann ein international renommierter Wissenschaftler wie Sie diese Meinung äußern?

Wir haben Meinungsfreiheit und ich respektiere auch andere Meinungen. Aber ich habe von weniger toleranten Mitbürgern schon ordentliche Shitstorms geerntet. In einigen Jahren gehe ich in Pension und muss daher keine Rücksicht mehr nehmen auf die Befindlichkeiten von Politikern und Behördenvertretern. Die Vermeidung von Kunststoffverpackungen ist zwar politisch im Moment gewollt. Sie zielt aber darauf ab, ein Problem zu lösen, das in der Schweiz und auch in Deutschland gar nicht existiert. Und das spreche ich an.

 

Zur Person:
Der Umweltingenieur Rainer Bunge lebt – nach Studium in Deutschland und den USA – seit 30 Jahren in der Schweiz. Dort lehrt er als Professor für Umwelt- und Verfahrenstechnik an der Ostschweizer Fachhochschule. Der renommierte Experte für Abfallwirtschaft war 2005 Preisträger des Umweltpreises der Schweiz.