Nachfrage nach Rezyklaten ist höher als das Angebot
29.08.2023 Insights Interview

Nachfrage nach Rezyklaten ist höher als das Angebot

Zum ersten Mal wird in Deutschland ein Doktorgrad für Nachhaltigkeitswissenschaften verliehen: Dominik Spancken darf sich Dr. rer. sust. nennen. Der Darmstädter forscht über Recyclingbauteile, das Besondere an seiner Arbeit ist die Interdisziplinarität. Im Exklusivinterview mit FACHPACK360° spricht er über den Einsatz von Rezyklaten und alternative Verpackungsmaterialien.

Dominik Spancken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit und prüft für die Industrie Materialien. Er hat an der Hochschule Darmstadt promoviert und darf sich als erster Deutscher Doktor der Nachhaltigkeitswissenschaften nennen. Dominik Spancken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit und prüft für die Industrie Materialien. Er hat an der Hochschule Darmstadt promoviert und darf sich als erster Deutscher Doktor der Nachhaltigkeitswissenschaften nennen.

Herr Spancken, Sie arbeiten am Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit und haben an der Hochschule Darmstadt den ersten Doktortitel in Deutschland im Fachgebiet Nachhaltigkeitswissenschaften erhalten. Was war Ihr Thema?

Es ging um den Ersatz von Neuwaren-Kunststoff durch Rezyklate, untersucht habe ich es an einem zentralen Bauteil einer Spülmaschine. Im Mittelpunkt standen die Unterschiede der Materialeigenschaften von Rezyklat- und Neuware. Ich wollte herausfinden, wie Rezyklate Neuwaren-Kunststoffe ersetzen und wie viel Ressourcen eingespart werden können. Ein Ergebnis war, dass durch den Einsatz von Rezyklaten gegenüber herkömmlichen Kunststoffen bis zu 70 Prozent an Ressourcen für die Herstellung des Werkstoffes eingespart werden.

Wo stehen wir denn heute mit dem Einsatz von recyceltem Material bei den Verpackungen?

Es ist immer noch eine Nische, aber das Bewusstsein wächst, auch bei den einzelnen Bürgern. Es ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen. Wichtig ist, dass die marktspezifischen Bedingungen und Verhältnisse im Recyclingmarkt beachtet werden. Die Quote sollte aber langsam gesteigert werden, sonst könnte der agile Recyclingmarkt zusammenbrechen. Momentan liegt die jährliche Wachstumsrate bei rund zehn Prozent. Wir können den Anteil jedes Jahr erhöhen und sind auf einem guten Weg. Aber wir müssen alle daran arbeiten, mit dem großen Ziel, dass wir einen Kreislauf schaffen, sobald es technisch möglich ist. Die Ware muss nach der Nutzung im Stoffstrom verbleiben.

Wo liegen da die Schwierigkeiten?

Einmal daran, ob Güte und Qualität des Materials so sind, dass ein Recycling sinnvoll und umsetzbar ist. Das Teilen und Sortieren der unterschiedlichen Stoffe aus den Gelben Säcken oder Tonnen ist aufwendig, hier gibt es einen hohen Mixanteil. Damit Rezyklate gegenüber Neuware konkurrenzfähig sind, muss die geringere Performance der Rezyklate mit einem geringeren Preis ausgeglichen werden. Technisch können Rezyklate so aufbereitet werden, dass sie nahezu Neuwareneigenschaften erreichen können, das ist aber aufgrund der geringen Marktmenge derzeit nicht kostendeckend möglich. Aktuell besteht eine hohe Nachfrage an Rezyklaten, sodass Rezyklathersteller die geforderten Mengen von Großabnehmern nicht decken können. Es gibt eine große Menge an Materialien, die energetisch entsorgt werden, sie sind aber für das Recycling nutzbar. Aber noch ist heute der Aufwand dafür höher als einfach Neuwaren einzusetzen. Es ist eine große Herausforderung.

Reicht die Menge des Abfalls aus, um die Stoffströme zu erhalten?

Derzeit werden rund zwei Drittel des Kunststoffabfalls energetisch verwertet, aus dem weiteren Drittel werden Rezyklate herstellt. Deponiert werden nur Kleinstmengen von unter einem Prozent. Es gibt einen hohen Wachstumsbedarf, in zehn Jahren könnte der Anteil bei einer durchgängigen Kreislaufwirtschaft bei rund 50 Prozent liegen. Aber der Handel muss sich langsam darauf einstellen können.

Wie sieht die Situation bei Lebensmittelverpackungen aus?

Für Lebensmittel sind eine sehr hohe Materialgüte und Freigabezertifikate für Lebensmittelkontakt notwendig. Hier hängt viel am Erhalt des Materials, das Trennen und der Einsatz sind sehr anspruchsvoll. Bislang bestehen rund zehn Prozent der Verpackungen aus Rezyklaten. Möglich ist eine Steigerung Richtung 20 Prozent, wenn Konsumenten, Verarbeiter und Handel leichte Einbußen in Farbe, Optik oder Haptik in Kauf nehmen. Für die PET-Flaschen gibt es Zertifikate und ein Pfandsystem. Das wäre auch für andere Bereiche möglich. Doch bei den Pfandsystemen stellt sich die Frage, wie die Konsumenten, Verarbeiter und Handel sie annehmen. Dafür benötigen wir einen interdisziplinären Ansatz. Die Akzeptanz durch die Verbraucher ist ein langwieriger Prozess, aber sie sind die Akteure, die am meisten bewegen können. Allerdings haben die Verpackungen bei Lebensmitteln im Vergleich beispielsweise zu den Materialien bei den Autos eine geringere Lebensdauer. Verpackung und Design ändern sich häufiger. Schnelle Reaktionen auf neue Entwicklungen sind möglich und dann gibt es Wachstumschancen für den Recyclinganteil.

Wie bewerten Sie im Vergleich Kunststoff- und Papierverpackungen?

Jedes der beiden Materialien hat seine Vorteile. Eine Kunststoffverpackung kann die Haltbarkeit von frischen Lebensmitteln deutlich erhöhen. Wenn Rohstoffe der Papierindustrie in sensiblen Gebieten wie dem Regenwald gewonnen werden, dann wäre Kunststoff von Vorteil. Für atmungsaktive Verpackungslösungen ist Papier oft die bessere Lösung. Eine entscheidende Frage ist der benötigte Energieeinsatz. Bei Kunststoff ist der Aufwand für die Materialtrennung sehr hoch, aber es kann gutes Recyclingmaterial erzielt werden.

 

Zur Person:
Dominik Spancken ist der erste Doktor der Nachhaltigkeitswissenschaften in Deutschland. Er erreichte seinen Doktortitel am Promotionszentrum für Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hochschule Darmstadt. In seiner Dissertation mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung – der Einsatz von Polypropylen Rezyklaten in zyklisch belasteten Strukturbauteilen“ beschäftigte er sich mit dem breiten Einsatz von Recyclingkunststoffen. Nach seiner Schlosserausbildung und dem Fachabitur hatte Spancken an der Hochschule Darmstadt das Studium für Maschinenbau als M. A. in Kunststofftechnik abgeschlossen. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit in Darmstadt. Spancken ist 41 Jahre alt, verheiratet und Vater eines Sohnes.