Warum kommen Biokunststoffe in Deutschland nicht voran?
15.10.2023 Look into Europe Sustainability Artikel

Warum kommen Biokunststoffe in Deutschland nicht voran?

Biokunststoffe gelten als nachhaltige Alternative im Verpackungsbereich, doch Unsicherheiten und begrenzte Verfügbarkeit bremsen ihren Durchbruch. Wie lassen sich die Hindernisse beseitigen?

Grüner Globus mit Pfleilen, die die Kreislaufwirtschaft symbolisieren sollen. Gemessen am globalen Kunststoffmarkt ist die Biokunststoff-Produktion noch verschwindend gering.

Die Verpackungsindustrie setzt große Hoffnungen in Biokunststoffe als nachhaltige Alternative zu erdölbasiertem Plastik. Tatsächlich bieten die verschiedenen Materialien Vorteile wie die Reduktion von CO2-Emissionen und der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Doch warum stockt der breite Einsatz?

Dies liegt zum einen daran, dass noch erhebliche Unsicherheiten über die geeigneten Anwendungen von Biokunststoffen bestehen. Die Herstellung aus potenziellen Nahrungsquellen wie Zuckerrohr oder Mais könnte beispielsweise zu Konflikten zwischen Nahrungsmittel- und Kunststoffproduktion führen. Die FACHPACK 2024 hat deshalb den Pavillon „Alternative Verpackungslösungen“ ins Leben gerufen. Hier erfahren Anwender, welche Alternative zu fossilen oder papierbasierten Materialien zum Einsatz kommen können.

Gemessen am globalen Kunststoffmarkt ist die Biokunststoff-Produktion deshalb noch verschwindend gering. Nach den von European Bioplastics in Zusammenarbeit mit dem Nova-Institut erhobenen Daten machen sie derzeit weniger als ein Prozent der gesamten Kunststoffproduktion von über 390 Millionen Tonnen pro Jahr aus. Bis 2027 rechnet der Interessenverband mit einem Anstieg der Produktionskapazität von 2,2 Millionen Tonnen (2022) auf 6,3 Millionen Tonnen. Dabei sind biologisch abbaubare Kunststoffe wie PLA und PHA mit 51 Prozent am stärksten vertreten. Der Anteil der nicht abbaubaren biobasierten Kunststoffe soll bis 2027 auf rund 44 Prozent sinken – obwohl ihre absolute Produktionskapazität steigen soll.

 

Biobasiert oder biologisch abbaubar – oder beides?

Allein die Unterscheidung der Typen sorgt bei vielen Verbrauchern für Verwirrung. Denn nicht alle Biokunststoffe sind biologisch abbaubar oder basieren auf nachwachsenden Rohstoffen. Es kommt immer auf die Zusammensetzung an. So werden biobasierte Kunststoffe zumindest teilweise aus biogenen Ressourcen wie Mais oder Zuckerrohr hergestellt und sind nicht biologisch abbaubar, z. B. biobasiertes PE. Biologisch abbaubare Kunststoffe hingegen zersetzen sich unter bestimmten Bedingungen und hinterlassen hauptsächlich CO2 und Wasser. Sie können aber auch aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden, z. B. Polycaprolacton (PCL) und Polybutylenadipat-Terephthalat (PBAT). Biobasierte und biologisch abbaubare Kunststoffe hingegen basieren auf nachwachsenden Rohstoffen und sind biologisch abbaubar, z. B. Polymilchsäure (PLA), Polyhydroxyalkanoate (PHA), Polybutylensuccinat (PBS), Blends auf Stärkebasis. Die Abgrenzung wird dadurch erschwert, dass sich die verschiedenen Typen teilweise überschneiden können.

Diese Materialien verfügen heute über ähnliche Verarbeitungseigenschaften wie herkömmliche Kunststoffe. Sie werden in einer Vielzahl von Märkten eingesetzt, wobei Verpackungen mit 48 Prozent (2022) den größten Marktanteil ausmachen. 

 

Entsorgung noch nicht einheitlich geregelt

Trotz ihres Potenzials bringen Biokunststoffe auch Herausforderungen bei der Entsorgung mit sich. Es gibt keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen für die Entsorgung von Biokunststoffprodukten und die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass dies zu einer Verunsicherung der Verbraucher führt. Insbesondere das Label „kompostierbar“ entspreche nicht der Realität. Denn viele dieser als kompostierbar gekennzeichneten Produkte werden in Kompostieranlagen nicht vollständig abgebaut, was zu Rückständen und Qualitätsverlusten im resultierenden Kompost führt. 

Die Art des Biokunststoffs – abbaubar oder nicht abbaubar – bestimmt die Art der Entsorgung. Während Drop-in-Biokunststoffe, also biobasierte Kunststoffe, die chemisch identisch mit konventionellen Kunststoffen sind, problemlos in bestehenden Recyclinganlagen verwertet werden können, werden biologisch abbaubare Kunststoffe in Deutschland in der Regel aus dem Recyclingprozess ausgeschleust und stattdessen verbrannt. Gelangen sie dennoch in den Recyclingstrom, besteht die Gefahr, dass sie zu einer Qualitätsminderung des Recyclats führen. Hier setzt das Verpackungsgesetz mit der vorgesehenen Herstellerverantwortung an. Das Umweltbundesamt weist daher darauf hin, dass biologisch abbaubare Kunststoffe in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack gehören und die Hersteller dieser Kunststoffe sich an das Verpackungsgesetz halten müssen.

 

Politik sieht weiteren Forschungsbedarf

Die Europäische Kommission hat sich im Rahmen ihres Green Deals dem Thema Biokunststoffe angenommen. In einem Rahmenpapier empfiehlt die Kommission: „Biobasierte Kunststoffe sollten nachhaltig hergestellt und deutlich gekennzeichnet werden, wobei bevorzugt organische Abfälle als Rohstoffe verwendet werden sollten.“ Das Rahmenpapier ist jedoch nicht rechtsverbindlich. Derzeit gibt es keine EU-Gesetzgebung, die sich umfassend mit biobasierten, biologisch abbaubaren und kompostierbaren Kunststoffen befasst.

Gleichzeitig fördert die Union die Forschung zu Biokunststoffen, wie das Verbundprojekt Bio-Plastics Europe. Dieses Projekt zielt darauf ab, nachhaltige Strategien und Lösungen für biobasierte Produkte zu erforschen, um die Kunststoffstrategie der EU und die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Es begann im Jahr 2019 und endete im September 2023. Unter anderem wurden im Rahmen von Bio-Plastics Europe Initiativen wie das Sicherheitsprotokoll für biobasierte Kunststoffe und ein Abfallwirtschaftshandbuch ins Leben gerufen. In einem letzten Schritt soll das Projekt die Praktiken dieses Handbuchs in Slowenien, Litauen, Italien und Griechenland in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen vor Ort umsetzen.

Auch die Bundesregierung sieht weiteren Forschungsbedarf und fördert daher beispielsweise das Projekt Rubio (Regionales unternehmerisches Bündnis zum Aufbau von Wertschöpfungsketten für technische Biokunststoffe in Mitteldeutschland). 


Gemeinsamer Kraftakt nötig

Die Verbreitung von Biokunststoffen in Deutschland hat trotz ihrer potenziellen Vorteile noch einige Hürden zu meistern. Während in Forschung und Entwicklung große Fortschritte erzielt wurden, stehen das Fehlen klarer rechtlicher Vorgaben, Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit und ein mangelndes öffentliches Bewusstsein einer breiteren Akzeptanz im Wege. Um das Potenzial von Biokunststoffen voll auszuschöpfen, ist es wichtig, dass Industrie, Regierung und Forschung gemeinsam Lösungen entwickeln, um diese Hindernisse zu überwinden und die Akzeptanz in Deutschland zu fördern.